Brecht bei den Raubtieren: Aus der Provinz in den Dschungel von Berlin
Mit seinen „Brecht-Lectures“, wie im Programm neudeutsch angekündigt, ist Brecht-Kenner Dr. Michael Friedrichs seit Jahren ein fester und verlässlicher Bestandteil des Brecht-Festivals. Im ausverkauften Kinosaal des Liliom sprach er über Brechts Reisen nach Berlin 1920 bis 1924
Von Halrun Reinholz
Sensationelles erwarten die Zuhörer nicht von Michael Friedrichs, dazu ist er in Augsburg zu bekannt. Aber die Zuhörerströme zu seinen Brecht-Veranstaltungen legen zuverlässig Zeugnis darüber ab, dass hier anspruchsvoller Hör- und Sehgenuss geboten wird. Michael Friedrichs hat viel Detailwissen zu Brecht und bringt dieses unaufgeregt, aber akribisch an sein Publikum. Passend zum Motto des Brechtfestivals nahm er sich das Verhältnis Brechts zur „Asphaltstadt“ vor. Brecht war nicht in ländlicher Umgebung aufgewachsen, Augsburg war zu seiner Zeit schon eine Industriestadt. Auch in München, wo er studiert hat, atmete der Dichter „Stadtluft“.
Aber die wirkliche Metropole dieser Zeit war Berlin, und Brecht war zielstrebig genug um zu erkennen, dass er seine Zukunftspläne nur dort realisieren kann. Er war, man hat es nicht nur bei diesem Brechtfestival häufig gehört, ein „Lavierer“, jemand, der sehr genau weiß, wo seine Vorteile liegen und wie er sie nutzen kann. 1920 fährt er, wie Michael Friedrichs anhand von präsentierten Dokumenten veranschaulicht, zum ersten Mal nach Berlin. Hedda Kuhn, die er aus München kennt, stellt ihn wichtigen Leuten vor. In Berlin ist alles präsent, was Rang und Namen hat und Brecht wirft sich mit Ernst und Zielstrebigkeit ins künstlerische Getümmel.
Eine gute Stadt, mit „Wasser und Späßen“ findet er vor, für deren Eroberung er aber „kräftezehrende Energie“ benötigt. Die Texte zur Illustration der Präsentation lässt Friedrichs wie immer von Schauspielern sprechen, diesmal liest Ute Fiedler. Auch aus den Briefen, die er aus Berlin an seine Freundin Paula Banholzer („Bi“) schreibt, die zu der Zeit schwanger im Allgäu sitzt, weil der Vater die Schande nicht in der Stadt haben will. Für sie verharmlost er seine Aufenthalte in Berlin, lässt sie eintönig und fad und sich selber tugendhaft gelangweilt erscheinen.
Tatsächlich aber nimmt er die Herausforderung der Großstadt auf wie ein Expeditionsreisender den Dschungel – nicht von ungefähr kommen die Vergleiche in seinen eigenen Notizen vor: „Der Morgen riecht immer nach Raubtier“. Zwischen Geldsorgen, gesundheitlichen Problemen und dem Lavieren mit mehreren Frauen, die ihm alle aus verschiedenen Gründen wichtig sind, kämpft der tapfere junge Dichter sich durch den Großstadtdschungel. Michael Friedrichs hat die Gabe, die biographischen Details mit entlarvender, aber dennoch mit einfühlsamer Ironie zu schildern.
Brecht, der Filou, der sich immer wieder arrangiert, ist letztlich doch liebenswert. Das wissen seine Fans (und die von Michael Friedrichs Präsentationen) und das wollen sie hören. Immer wieder mit Vergnügen.