DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brasilien 2014: Wir sind dabei, aber mit Jogi wird das nichts!

Wer wissen will, ob es denkbar ist, dass ein philharmonisches Orchester von Weltformat von einem Dirigenten geleitet werden kann, der die meiste Zeit seines beruflichen Werdegangs im Bierzelt Blaskapellen dirigierte, muss ein wenig Geduld mitbringen und sich die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Herrn Löw anhören.

Von Siegfried Zagler

Die Geschichte beginnt mit Jürgen Klinsmann und einem Sommermärchen. Nachdem Bundestrainer Rudi Völler nach dem schnellen Aus bei der EM 2004 in Portugal keine Lust mehr hatte, bildete der DFB im Sommer 2004 eine Trainerfindungskommission, die nach mehr als einem Monat Suche und einem halben Dutzend Absagen (Ottmar Hitzfeld, Otto Rehhagel, Felix Magath, Christoph Daum, Thomas Schaaf, Holger Osieck und Arsene Wenger) schließlich nach einem Hinweis der Süddeutschen Zeitung auf Jürgen Klinsmann stieß. Klinsmann nahm an und bestimmte, dass Oliver Bierhoff als Manager und Joachim Löw als Assistenztrainer zum Team des Projektes WM 2006 gehören sollten. Die Ironie der Geschichte bestand darin, dass der DFB mit Klinsmann nach Rudi Völler wieder einen Berufsanfänger anheuerte und Trainer Joachim Löw in den zurückliegenden vier Jahren den vierten Rauswurf hinter sich hatte – nicht in Barcelona, Madrid, Manchester oder München, sondern in den Untiefen der Fußballprovinz. Nach Klinsmanns Rückzug aus dem Bundestrainer-Amt, gab sich der DFB nach dem Theater mit der Findungskommission weniger Mühe und kam somit auf die Idee, Sommermärchen-Macher und „Taktik-Fuchs-Löw“ als Bundestrainer zu verpflichten.

Warum sollte Löw nicht an seiner Aufgabe wachsen?

Man muss jetzt nicht über die Chancen sprechen, die die deutsche Nationalmannschaft in den bisherigen Turnieren unter Trainer Löw liegen ließ. Die deutsche Nationalmannschaft war seit je her dafür berühmt, ohne große Trainer große Erfolge einzufahren. Außerdem: Warum sollte Löw nicht an seiner Aufgabe wachsen? Bei der EM 2008 war die Finalteilnahme nach einem eher holprigen Turnierverlauf bereits ein Erfolg. Finalgegner Spanien war damals ein halbe Klasse besser. Ganz anders war es bei der WM 2010 in Südafrika als Löw mit einem sehr spielstarken Kader ins Halbfinale stürmte, um dort auf Augenhöhe gegen Spanien auszuscheiden. Die Erkenntnis nach dieser WM: Die deutsche Nationalmannschaft gehörte wieder zur Elite der nationalen Auswahlmannschaften. Dann folgte eine souveräne Qualifikation zur EM 2012 in Polen/Ukraine mit einem aus deutscher Sicht grauenvollen Ausscheiden im Halbfinale. Damals wurden die Fähigkeiten Löws erstmalig im großen Stil hinterfragt, doch sein unaufhaltsamer Imageverfall sollte wenige Monate später mit einen spektakulären Spiel beginnen.

Als Trainer ist Löw meilenweit von dem Niveau entfernt, das seine Mannschaft hat

Ziemlich genau vor einem Jahr, also am 16. Oktober 2012, nahm um 22.03 Uhr im Olympiastadion in Berlin ein Ereignis seinen Lauf, das bisher noch niemand ganz verstanden hat: Zlatan Ibrahimovic erzielte einen Kopfballtreffer gegen die Deutsche Fußballnationalmannschaft am 4. Spieltag der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Es war das erste Tor der Schweden gegen eine bis dahin wie berauscht spielende deutsche Mannschaft, die 4:0 führte, aber auch 7:0 hätte führen können. „Der Anschlusstreffer“ der Schweden zum 1:4 in der 62. Minute kam – wie man gern so leichtfertig dahin sagt – „aus dem Nichts“. Die knapp 73.000 Zuschauer im weiten Rund des Olympiastadions nahmen den Treffer zur Kenntnis wie man in etwa eine kleine Wolke am endlos blauen Himmel eines wundervollen Sommertages zur Kenntnis nimmt. Die Stimmung war auch kaum getrübt als der schwedische Abwehrspieler Mikael Lustig zwei Minuten später das 2:4 erzielte. Man muss die Geschichte nicht zu Ende erzählen, sie gehört zu den spektakulärsten Geschichten, die der Fußball zu erzählen hat. Das Spiel endete 4:4. Aus der kleinen weißen Wolke sollte ein mächtiges Gewitter herabstürzen und den bereits an vielen Stellen abgeschlagenen Putz des „Trainer-Gurus-Löw“ komplett abwaschen: Das schlichte Profil, das bei Bundestrainer Jogi Löw während der Europameisterschaft 2012 zutage trat, wurde in der letzten halbe Stunde des historischen Schweden-Desasters zementiert: Jogi Löw ist als Trainer meilenweit von dem Niveau entfernt, das seine Mannschaft hat.

Nicht verstanden, was sich vor seinen Augen abspielte

Das EM-Halbfinale gegen Italien brachte noch im Juni 2012 eine bisher unbekannte Dimension einer Taktik-Verfehlung zum Vorschein, die in ihrer Lesbarkeit einzigartig ist. Sowohl die Aufstellung als auch die taktische Ausrichtung der deutschen Mannschaft führte dazu, dass vielleicht die schwächste italienische Nationalmannschaft, die je auf eine deutsche Auswahl traf, leichtes Spiel hatte. In Warschau erkannte Jogi Löw zwar, dass etwas falsch lief, aber er wollte nicht einsehen, dass es an seinem Coaching, an seinem Matchplan lag. Er reagierte und versuchte zu retten, was er allein verbockt hatte. Löw wechselte direkt nach der Pause Reus für Podolski und Klose für Gomez ein. In einer verfahrenen Situation wie dieser zu denken, dass man ein Spiel, in dem nichts funktionierte, mit einem doppelten Eins-zu-eins-Wechsel im Angriff drehen könne, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass es mit Löws Analysefähigkeit in einem laufenden Spiels nicht weit her ist. Immerhin konnte man an der Reaktion Löws damals nachvollziehen, dass er versucht hat, das Spiel zu verstehen. Davon war er wenige Monate später in Berlin weit entfernt.

Kein Gefühl für ein laufendes Spiel

Zurück zur WM-Qualifikation, zurück zur 4. Runde nach Berlin: Jogi Löw  stand tatenlos am Spielfeldrand und verstand nicht, was sich vor seinen Augen abspielte. Die deutsche Mannschaft fiel nach dem 2:4 auseinander wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Bei jedem Angriff der Schweden konnte man einen rätselhaften Zustand der Starre erleben, als hätte von einer Minute auf die andere ein böser Geist seine Hände über die jungen Fußballgötter aus Deutschland gelegt. Wie in Warschau wechselte Löw nicht taktisch, sondern eins zu eins : kurz nach dem zweiten Tor der Schweden brachte er Götze für Müller und in der 88. Minute (inzwischen stand es 3:4 und die Ordnung der deutschen Abwehr hatte sich längst aufgelöst) Podolski für Reus. Präziser kann ein Trainer sein Unverständnis nicht darstellen. Löw hat kein Gefühl für die Defensive, er hat kein Gefühl für Wendungen in einem laufenden Spiel und kann das am wenigsten, was zur Kernaufgabe eines Bundestrainers gehören sollte: alle Register der Wertschöpfung erkennen. Die Schweden konnten von einer Minute auf die andere bei jedem ihrer Angriffe „Anlauf nehmen“. Jedes Tor wurde quasi angekündigt. Löw stand versteinert am Spielfeldrand und verstand nicht, dass sich seine Mannschaft nach einem wundersamen 60-Minuten-Tänzchen aufs Krankenbett gelegt hatte. Wäre das Spiel nach dem 4:4 Ausgleich noch eine Viertelstunde weiter gegangen, hätte die deutsche Mannschaft vermutlich hoch verloren. Als die Mannschaft nur noch ein Torso war, gab es nicht einmal den Versuch einer Stabilisierung, es gab keine taktischen Verletzungen und in der Nachspielzeit keine taktische Auswechslung, um den Schweden den Schwung zu nehmen. Löw unternahm nichts, um das scheinbar Unvermeidliche zu vermeiden. Nach dem Spiel gab es wie immer hemdsärmlige Erklärungen aus dem Munde eines unbegabten Fußballgrüblers namens Löw. Es gab in der bisherigen Ära-Löw kein einziges Länderspiel, bei dem nicht über die Statements des Bundestrainers zur Aufstellung gelächelt wurde. Es gab kein einziges Spiel, bei dem Startformation und Einwechslungen einen gewissen Stand an Plausibilität erreichten.

Im aktuellen Kader fehlen Führungsspieler vom Schlage eines Beckenbauers oder Cruyff

Damit nicht genug: Noch nie gab es einen Bundestrainer, der sich öffentlich negativ über die Leistung und die Begabung seiner Spieler äußerte. Jogi Löw hat, daran gibt es keine Zweifel, einen Weltklasse-Kader zur Verfügung, einen Kader, der in der Breite wesentlich mehr Qualität besitzt als die 72er Auswahl und in der Spitze in etwa auf der gleichen Höhe dieser Jahrhundertmannschaft anzusiedeln ist. Einziges Manko im Verhältnis zu den der 70er-Heroen: Es gibt im aktuellen Kader keine Führungsspieler vom Format eines Beckenbauers oder Cruyffs, die dafür sorgen könnten, dass die Mannschaft nur einen Trainerschauspieler benötigt.

Die deutsche Nationalmannschaft hat nun gestern Abend in Köln die vorletzte Runde der WM-Qualifikation gegen die Fußballnationalmannschaft Irlands gespielt und sich mit einem sehr leicht erspielten 3:0 Sieg die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien gesichert. Sportlich waren für diese Qualifikation keine hohen Sprünge nötig, nicht nur deshalb, weil die beiden Spiele gegen die Iren locker und einfach gewonnen wurden, sondern auch deshalb, weil die Gruppe insgesamt sehr einfach für die hochbegabten Deutschen zu spielen war. Wie gewohnt hat die deutsche Elf die Qualifikation für ein großes Turnier souverän gemeistert und gehört nun zusammen mit Brasilien zu den beiden Auswahlmannschaft, die seit 1954 an jeder WM teilgenommen haben. An der Qualifikation hat der Schreiber dieser Zeilen – Jogi Löw hin oder her – nie gezweifelt. Es ist nun jedoch zu befürchten, dass der DFB wie angekündigt seinen Vertrag mit Löw verlängern wird, was auch damit zu tun haben könnte, dass der DFB mit seinem farblosen Präsidenten Wolfgang Niersbach in der Spitze ein Führungsproblem hat. Die Geschichte des unscheinbaren Herrn Niersbach ist nicht weniger interessant, doch eben eine andere Geschichte. Die Geschichte des Herrn Löw ist hier an dieser Stelle noch nicht zu Ende. Nur soviel scheint festzustehen: Mit Jogi Löw als Bundestrainer ist ein Turniersieg bei der WM in Brasilien nicht sehr wahrscheinlich, aber bei der Qualität der Mannschaft auch nicht unmöglich.