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Dienstag, 16.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Black Swan: Paranoia-Trash im Teenagerformat

Von Siegfried Zagler

Von Robert de Niro soll der Satz stammen, dass man als Schauspieler in ein Leben schlüpfen könne, ohne den vollen Preis dafür bezahlen zu müssen. Wer Ellen Burstyn als tablettensüchtige Seniorin in „Requiem for a Dream“ (2000) oder Mickey Rourke als abgewrackten Catcher in „The Westler“ (2008) sah, weiß, dass Regisseur Darren Aronofsky von seinen Schauspielern nicht unbedingt einen kleinen Anteil des „vollen Preises“ einfordert.

Ein Jahr Balletttanz trainiert: Natalie Portman

Ein Jahr Balletttanz trainiert: Natalie Portman


In „Black Swan“, einem mit dem üblichen Hollywood-Getöse vor drei Wochen in Augsburg gestarteten Hochglanz-Streifen, musste nun Natalie Portman ins allzu hingestrickte Oscarkleidchen der Identifikationsmarotte schlüpfen, und zwar in zweierlei Hinsicht. Wie einst Robert de Niro in „Wie ein wilder Stier“ (De Niro trainierte für Martin Scorsese das Boxen und bestritt zwei reale Amateurkämpfe), trainierte Portmann ein Jahr Balletttanz, um Aronofskys Authentizitätsmarotte im Sinne Sternbergs gerecht zu werden. „Im Sinne Sternbergs“ deshalb, weil in „Black Swan“ – anders als bei „Wie ein wilder Stier“(1980) oder „Million Dollar Baby“ (2005) – der Zuschauer, trotz der „gelebten Rolle“ der Hauptdarstellerin, über das Milieu nicht mehr als die bekannten Klischees erfährt: die übermächtige Mutter, deren Kind ihren Traum leben muss, der göttliche wie grausame Ballettmeister Leroy (Vincent Cassel) und eben die absolute Identifikation der Ballerina mit der Doppelrolle in Tschaikowskys „Schwanensee“.

„Du hast keine Angst, du hast dein Schicksal angenommen“

Nicht unbedingt einen kleinen Anteil des „vollen Preises“ eingefordert: Regisseur Darren Aronofsky

Nicht unbedingt einen kleinen Anteil des „vollen Preises“ eingefordert: Regisseur Darren Aronofsky


Der weiße und der schwarze Schwan als Metapher für die Unmöglichkeit, die Kunst zu leben. Hingabe führt zur Besessenheit, die den Mensch in seiner Kunst verschwinden lässt. Dies ist die banale Psycho-Botschaft, die in jeder Szene bei „Black Swan“ mitschwingt. Die zerbrechliche vom Ehrgeiz der Mutter getriebene Nina (Natalie Portman) bekommt den Part ihres Lebens. Sie darf die anspruchsvolle Doppelrolle des weißen und des schwarzen Schwans tanzen. Im Lauf der Proben verliert sich Nina immer mehr in Psychosen, in von Angst gespeisten Wahnvorstellungen. In ihrer Wahrnehmung wachsen auf ihrem Rücken schwarze Federn, ihre Zehen wachsen zusammen und so weiter. Wer auf softes Horrorgenre im Kontext des amerikanischen Werwolf-Mythos steht, sollte nach dem Brechtfestival schleunigst ins Kino gehen. „Du hast keine Angst, du hast dein Schicksal angenommen“, sagt Leroy während der Generalprobe zur von Angst gepeinigten Tänzerin Nina. Das ist der einzige Satz, die einzige Szene mit Doppelbödigkeit und Tiefe. Der Rest ist Paranoia –Trash und ein wenig sexuelles Erwachen im Teenagerformat.