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Freitag, 16.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Bert Brecht – tourismuskompatibel

Ein Kommentar zum Brechtfestival von Frank Heindl

Es waren tolle Veranstaltungen. Zehn Tage lang hat sich die DAZ-Redaktion auf dem Brechtfestival herumgetrieben, und danach ging es uns fast wie den Mitgliedern des Kulturausschusses: Wir waren müde und zufrieden. Bis dann im wieder ausgeschlafenen Zustand viel Erlebtes schnell seinen Glanz verlor. Werden wir in uns in ein paar Monaten noch an Dominique Horwitz erinnern? Mit Sicherheit ja. An Ute Lemper schon weniger, an Robyn Archer eher nicht. Was also bleibt vom Brechtfestival 2011? Anders gefragt: wie steht es mit der Nachhaltigkeit?

Einmal waren wir richtig begeistert: Als nicht nur zur Aufführung der „Maßnahme“ im Textilmuseum sehr viele Interessierte kamen, sondern schon für die Vorab-Diskussion die Stühle bei weitem nicht ausreichten. Und als auch nach der Vorführung viele Besucher blieben, um mit der Regie-Crew zu diskutieren. Es war einer der wenigen Momente in diesen zehn Tagen, wo man spüren konnte, dass das Publikum über Brecht sprechen wollte, dass ein Interesse vorhanden war, Brechts Werk und seine Musik (die das Thema des Festivals war) nicht nur zu goutieren, sondern auch zu diskutieren, vielleicht sogar sich zu ereifern, zu streiten.

Brecht hat nämlich keine „Schlagertexte“ gedichtet, Weill, Eisler und Dessau haben nicht „Songs“ komponiert – gemeinsam haben sie Werke geschrieben, die den Stücken, für die sie gedacht waren, größere Wirkung verschaffen sollten. Bei Lemper, bei Archer, bei Farantouri, sogar noch bei Horwitz war das anders: Da wurde Brecht zwar teils engagiert interpretiert, aber immer auch aus dem Kontext gerissen und goutiert. Mindestens viermal – und noch dazu mit vielmaligen Wiederholungen – servierte das Brechtfestival seinem Publikum genau jenen „kulinarischen Musikgenuss“, den Brecht mit seinem ganzen Genie bekämpft hat.

Nachhaltigkeit durch Wiederholung

Warum so oft? Lautet das Festivalkonzept „Nachhaltigkeit durch Wiederholung“? Muss man den erwachsenen Augsburgern ihren „großen Sohn“ mit großem Staraufgebot einbläuen, auch wenn gleichzeitig für dessen Vermittlung an den Schulen gerademal ein paar tausend Euro übrigbleiben?

Gut 52,8 % der Augsburger, hatte eine AZ-Umfrage im Vorfeld des Festivals ergeben, sähen Brecht als einen großen Sohn der Stadt. Das müssten mehr werden, meinte Joachim Lang im Kulturausschuss. Warum eigentlich? Muss Brecht wirklich jedem schmecken? Und ist es nicht die logische Folge solch eines Vorhabens, dass ihm dann all seine Ecken und Kanten abgeschliffen werden? Rührt aus dieser Intention das oft und oft wiederholte Ansinnen von Joachim Lang und seinem wissenschaftlichen Berater Jan Knopf, Brecht als großen Spaßmacher zu zeigen, der alles Mögliche gewesen sei, aber auf gar keinen Fall Kommunist? Das Festival war schon im letzten Jahr, diesmal aber noch verstärkt, auf dem besten Weg, eine tourismuskompatible Brecht-Marke zu erschaffen – ein neues Brechtbild ja, aber eines ohne Reibung, ohne Inhalte, eines fürs Museum.

Als großer Mangel erwies sich auch, dass das Festival keinen Ort hat. Mehr oder weniger zufällig trafen mal ein paar Beteiligte im „Drei Mohren“ zusammen, anlässlich der „Nachtlinie“-Preview guckten Politiker, Regisseure, Presseleute und Festivalmitarbeiter im „Thalia“-Café gemeinsam BR – meistens aber waren die beteiligten Musiker, Schauspieler, Regisseure nicht greifbar, jedenfalls nicht in der Nähe ihres Publikums. Wie spannend ist es dagegen, wenn im Thalia während der Tage des Unabhängigen Films Schauspieler, Regisseure und Übersetzer aus aller Welt oft tage- und nächtelang mit Publikum und Journalisten zusammensitzen, wenn diese unglaublich spannungsgeladene Atmosphäre entsteht, die bei allen Beteiligten noch wochenlang nachwirkt und oft bis zum nächsten Filmfest anhält! – So etwas nennt man Festivalatmosphäre.

Brandheißes Thema – vertane Chance

Aber wollte und will das Brechtfestival überhaupt Diskussion, Öffentlichkeit, Diskurs jenseits des „Kunst“-Konsums? Gab es irgendein Podium, auf dem die x-mal kolportierte Kommunismus-These auch nur ein Mal kritisch beleuchtet worden wäre? Und hatte nicht Stadttheater-Intendantin Juliane Votteler ein brandheißes Thema geliefert, als sie kurz vor der Premiere von Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ die Regisseurin Tatjana Gürbaca absetzte, weil sie mit deren Inszenierung nicht einverstanden war! „Zensur“ und „vorauseilenden Gehorsam“ nannte Jan Knopf das – aber nur im DAZ-Interview, nicht beim Festival. Man musste ihm nicht einmal zustimmen, um doch zu spüren, wie groß der Diskussionsbedarf bei Theaterpublikum und Stadtgesellschaft war – und um einen Diskussionsstoff zu erkennen, dem ein ernstzunehmendes Brechtfestival nicht ausweichen darf!

Joachim Lang hätte die Chance gehabt, Votteler, Gürbaca und weitere Fachleute auf ein Podium zu setzen und streiten zu lassen: Was für ein Highlight, was für ein Politikum, was für ein spannender Event! – Und was für eine vertane Chance, Brecht und seine Rezeption „in der Stadtgesellschaft zu verankern“, wie Lang das angeblich anstrebt. Wenn dieser Versuch zu riskant erschien, was kann man dann noch erwarten? Wie blamabel für das Festival um einen Dichter, der sein Theater, seine Zeit, seine Welt umgestalten wollte!