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Dienstag, 23.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Fleischhalle mit Fototapete

Die neue Fleischhalle sorgte für Kritik bei der Kundschaft. Es gebe zu wenig normale Sitzgelegenheiten an normalen Tischen. Marktamtsleiter Werner Kaufmann reagierte: Die Anzahl der Sitz-Stühle wird auf insgesamt zwölf erhöht werden. Dass damit nicht alle Mängel der insgesamt gelungenen Sanierung behoben sind, soll der folgende Text offenlegen.

Von Siegfried Zagler

Die Feststellung, dass das Neue das Alte „nur“ wegen der funktionalen Verbesserung ersetzt, ist keine tiefschürfende Erkenntnis. Ästhetisch scheint das Neue dem Alten nämlich unterlegen. Im Lauf der Zeit aber, wenn sich das Neue vom Alten durch den gewöhnlichen Gang der Dinge entfernt und nicht mehr so unbenutzt glänzt und somit nicht mehr auf unnatürliche Weise Aufmerksamkeit verbraucht, sondern sich in die vertraute Grammatik des selektiven Wahrnehmens eingereiht hat, also nicht mehr neu ist, verschwindet langsam die Erinnerung daran, was vor dem Neuen einmal so vertraut war. Mit dem Vertrauten verschwindet jedoch etwas Gewachsenes und in unausgesprochenen Vereinbarungen über Generationen hinweg tief Verankertes, das in unzähligen menschlichen Bewusstseinsebenen als etwas existierte, das mit dem Begriff „Heimat“ eine kulturelle Entsprechung fand. Heimat – und nun verlassen wir die sprachliche Abfolge von Allgemeinplätzen – ist nämlich kein unveränderbarer Ort, sondern eine launische Diva der Erinnerung, die sich gern der romantischen Verklärung für das Vergangene hingibt. Meistens spricht man über Heimat im Kontext von Verlust.

Die alte Fleischhalle war und ist ein speziell erinnertes Stück Heimat, das (wie der gesamte Stadtmarkt) einem steten Wandel ausgesetzt war und ist und zugleich dem Lauf der Zeit zu trotzen verstand, was mit einigen Beschickern in Verbindung zu bringen ist, also mit den Imbissbetreibern, die seit vielen Generationen die gleichen Gerichte zur Mittagszeit verkaufen und somit die flüchtigste aller Welten konservieren: den Geruch. – Zu Beginn ihrer Zeit war die Fleischhalle, man mag es kaum glauben, ein Ort, wo Fleisch verkauft wurde. Mehr als 50 Metzger boten dort kontrollierte Fleisch- und Wurstwaren aus der Region an. Heute ist die Augsburger Fleischhalle ein Ort des eiligen Verzehrs, also eine Ansammlung von Imbissbuden. Man kann in der Fleischhalle längst asiatische Nudelgerichte, Pizzateile und Döner verspeisen und selbstverständlich leben die zwei übriggeblieben Metzger in der Fleischhalle auch von der Hauptkundschaft, den Schnellessern zur Mittagszeit.

Die Augsburger Fleischhalle litt zuletzt daran, dass sie von ihren Imbissbuden-Betreibern möbliert wurde. Plastikstühle, Bistro-Tische und Holzbänke stimmten über die gesamte Länge der weiß gekachelten Halle eine Parodie auf den Begriff der Gemütlichkeit an. Die Fleischhalle, die man seit Kurzem „alte Fleischhalle“ nennen darf, evozierte mit ihrem unkoordinierten Nebeneinander einfachster „Tellerabstellgelegenheiten“ nahezu asiatische Funktionalität, und zwar gerade wegen des Durcheinanders von Gerüchen, Geschirr und Gartenmöbeln. Der freie Blick auf das gesamte Buden-Tableau mit bodenständigen Rezepturen erzeugte eine Atmosphäre zwischen Geschäftigkeit und Kontemplation, die von der Tiefe des Raumes umschlossen und somit auf schlichte Art erhöht wurde. Gegen gewachsene Strukturen und Raumtiefe steht jedes architektonische Gegenkonzept auf verlorenem Posten, weshalb Innenarchitektin Margarete Kolb die Brechung des Raum kontrolliert vornahm, sodass die Tiefe der Halle zwar gebrochen wurde, aber dennoch erhalten blieb. Kolb hat die Halle in eine Aneinanderreihung von Essquartieren verwandelt, die den Aufenthalt der Schnellesser „vergesellschaftet“. Das Industriedesign mit der von oben nach unten verfeinerten Farbdramaturgie bringt einen angenehmen Hauch Freundlichkeit in die ehemalige Funktionshalle, deren ehemaliger Schlachthaus-Charme die „Wahrheit der Fleischware“ erkenntlich machte. Innenarchitektin Margarete Kolb hat mit ihrem Platz-Konzept nicht nur den Raum freundlicher und kommunikativer gemacht, sondern auch hervorgehoben, dass Essen ein soziales Ereignis sein sollte. Der dezent-funktionale Zwei-Personen-Tratsch um die eckige Säulen herum musste einem gemeinsamen Mahl weichen. Um es einfach zu sagen: Margarete Kolb hat an den Bedürfnissen der Einheimischen vorbei geplant und kommunikative Essecken geschaffen, die in Düsseldorf oder Köln für weniger Irritationen sorgen würden. Und damit ist nicht gemeint, dass angeblich am Bedarf vorbei geplant wurde, weil es zu wenig Sitzplätze geben soll.

So gesehen, ist die neue Fleischhalle ein kühner Wurf, weil sie gegen die Kommunikationsgewohnheiten ihrer Kundschaft gebürstet ist. Es mag ironisch klingen, ist aber ernst gemeint, dass es sich gerade deshalb um eine gelungene Sanierung handelt, die man richtig gut finden könnte, hätte die Innenarchitektin auf die aufgeschnittenen Blech-Container verzichtet, die die Geschirrwagen der Betreiber beherbergen und worst-case-artig auch noch mit großflächigen Fotos beklebt wurden, die im historischen Braunton eben den historischen Stadtmarkt zeigen. Der Fleischhallen-Besucher kann sich somit vergewissern, dass es früher nicht besser, sondern anders war. Dieses museale Fototapeten-Desaster ist ein Gestaltungsabdruck, der in eine trostlose Zwischenwelt führt, die vom Hintergrundrauschen tiefster Provinzialität gezeichnet ist. Hätte man auf diesen Historien-Kitsch verzichtet, könnte man die Sanierung der Fleischhalle als gelungen bezeichnen.