Avantgarde für die Jüngsten
Das Stromorchester scheiterte beim Familienkonzert am Sound
Von Frank Heindl
„Kuckuck“, ertönt es aus dem Orchester, und zwar täuschend echt – „und das im Herbst“, wie Tillmann Böttcher ironisch kommentierte. Der Musikdramaturg von GMD Kaftan war am Sonntagvormittag als Vertretung eingesprungen – ebenso wie der 1. Kapellmeister Rune Bergmann. Erkrankt war die 2. Kapellmeisterin Carolin Nordmeyer. Und zwei Vertreter brauchte es, wie Böttcher erklärte, „weil ich nur sehr langsam dirigieren und Herr Bergmann nur sehr langsam deutsch sprechen kann.“ Die beiden ergänzten sich in der Tat prächtig am und neben dem Pult – Bergmanns zupackend fröhliches Dirigat und Böttchers wortgewandt sympathische Moderation feierten das sonntägliche Familienkonzert als den Event, der er für viele kleinen und großen Augsburger längst ist.
Das musikalische Material war passend gewählt: Im ersten Teil erklang zunächst jene „Kindersinfonie“, die mal Leopold Mozart, mal seinem Zeitgenossen Edmund Angerer zugeschrieben wird – eine Diskussion, die glücklicherweise vor Kinderpublikum nicht geführt zu werden braucht. Stattdessen quäkten zwischen Kuckuck, Nachtigall und Wachtel auch noch ein paar Kindertröten unerschrocken schräg und trotzdem wunderbar passend ins sinfonische Geschehen und sorgten für Spaß und Heiterkeit.
Spielzeug von heute klingt anders
Anschließend wurde es ein wenig anders als bei früheren Familienkonzerten. Zu Gast war nämlich das „1. Deutsche Stromorchester“, dessen Leiter Rochus Aust mit einer Komposition aus eigener Feder das Thema das Vormittags aufgriff: Uraufgeführt wurde seine „Toysymphony“, die Idee der Kindersinfonie weiter spinnend. Fünf Elektriker/innen in grellgelben Overalls mit warnend rotem Blitzsymbol betraten da die Bühne und platzierten sich vor ebenso gelben Spieltischen – elektrisch geladene Musikarbeiter sozusagen, die zeigen wollten, wie sich eine zeitgenössische Kindersinfonie sich anhört.
Das Ergebnis war leider durchwachsen. Austs Komposition vermeidet es gekonnt, in eine Klischeefalle zu tappen und nun mit allerhand technischem Gerät exzessive Perkussion zu betreiben – das Gegenteil ist der Fall. Fast jedes Geräusch, hatte Tillmann Böttcher angekündigt, könne Teil eines Musikstückes sein – und so macht Aust eben nicht Rhythmus und nicht Melodie, sondern Musik in einem sehr weit gefassten Rahmen. Dem Philharmonischen Orchester fiel dabei die Rolle zu, mit mal ruppigem, mal feinem Sound einen Klangteppich zu schaffen, vor dem sich die Stromleute mit allerlei Plastikzeug zu schaffen machen: Sprechende Puppen, lärmende Baufahrzeuge, mehrere Föns und vieles mehr kommen zu Einsatz, auch Spielzeug, aus dem fremdsprachige Musik erklingt, in einer Tonqualität, die dem quietschbunten Outfit in nichts nachsteht – Spielzeug von heute sieht anders aus und klingt auch anders als im 18. Jahrhundert.
Zu viel Strom
Diese Musik hatte ihre durchaus spannenden Phasen, erlitt aber – zumindest im Parkett – deutliche Einbußen durch die mangelhafte Koordination des Sounds: Das Publikum war vor allem den Verstärkerboxen ausgesetzt, die das Stromorchester für seine eigene Musik verwendet. Was die Philharmoniker dahinter anstellten, verstärkt übrigens durch eine große Zahl von jugendlichen Musikschülern einiger Orchestermusiker, war vor allem aus deren Gesten zu erahnen: Wenn sie beispielsweise an den Saiten zupfen, durfte man sicherlich Pizzicati vermuten – vernehmen konnte man diese eher nicht. Hätte man dem Elektrosound etwas weniger Strom gönnen oder den Akustiksound elektrisch verstärken sollen? Da müssten nächstes Mal vorher ein paar Soundtechniker ran! Besonders schade: Dass man auch von den Dritt- und Sechstklässlern der St.-Georg-Schule so wenig vernahm, mit denen Rochus Aust eine Woche lang für das Konzert geprobt hatte. Die Kinder waren mit vielen Plastikpistolen, aber auch mit Gummitieren, Murmeln und einigem mehr „bewaffnet“ – sie hätte man gerne lauter gehört. So konnte man insgesamt mehr erahnen als wirklich wahrnehmen, dass Austs Werk das Hinhören gelohnt hätte und als Beispiel dafür dienen könnte, dass Musik auch reiner Klang sein kann, bei dem Rhythmus und Melodie gerne mal in den Hintergrund treten dürfen – Avantgarde für die Jüngsten! Schade.
Zum Abschluss gab’s nach der Pause den „Zauberlehrling“ des Franzosen Paul Dukas nach Goethes berühmtem Gedicht. Nachdem Tillmann Böttcher ausführlich die Fagotte vorgestellt und die Story erklärt hatte, erhielten die jungen Zuhörer die Aufgabe, die Themen von verhexten Besen und Wasserschütterei mit ihren bunten Programmblättern zu signalisieren. Das klappte nur mäßig – vor allem wohl, weil die Themen im vielschichtigen Gefüge der Komposition gar nicht so leicht aufzufinden waren. Dafür waren die Kinder nicht zu rügen: Denn die Erwachsenen, die im wogenden Auf und Ab von Wasserströmen und verzweifelten Gegenmaßnahmen das Zauberei-Motiv illustrieren sollten, versagten ebenso, wenn nicht noch mehr.