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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Augsburgs moderne Dorfplätze

Bewachte Wohnsiedlungen, private Parks und Plazas, Shoppingmalls – die Privatisierung von öffentlichem Raum schreitet weltweit voran. Auch in Augsburg? Der Attac-Arbeitskreis „Soziales“ ging am Donnerstag im Rahmen einer Stadtführung auf Erkundungstour.

Die Exkursion unter der Führung von Johanna Meister startete am Hauptbahnhof. Die Soziologin erklärte den staunenden Teilnehmern, dass dieser und sein Vorplatz nur scheinbar öffentlicher Raum ist. Tatsächlich befindet man sich aber auf Privatgelände, es gilt Hausrecht. Wie weit dieses reicht, zeigt das Beispiel Bahnhofsmission. Diese über 100 Jahre alte, von der Diakonie und Caritas getragene Institution auf Bahngelände darf seit 2001 kein warmes Essen und keine Übernachtungsmöglichkeit mehr anbieten – eine Folge von Ex-Bahnchef Mehdorns 3-S-Konzept „Sicherheit, Sauberkeit und Service“, das die Zurückdrängung sozial schwacher Menschen impliziert.

Im Gegensatz zum Bahnhofsgelände ist der Park am Königsplatz – die nächste Station der Führung – echter öffentlicher Raum. Kein rechtsfreier Raum allerdings, hier gilt öffentliches Recht, so Johanna Meister. Immerhin ist die Benutzung jedermann gestattet – vorausgesetzt er hält sich an die „Satzung über Straßensondernutzungen“, ein Augsburger Unikum. Satzungsgemäß „nicht erlaubnisfähig“ sind das Lagern und Nächtigen, das Niederlassen zum Alkoholgenuss außerhalb erlaubter Freisitze und das Betteln in jeglicher Form.

Soziale Exklusion

Weiter ging es zur mamo-ladengalerie in der Maxstraße, einer typischen Vertreterin privatisierten Raumes für den gehobenen Konsumenten. „Die gesamte Gestaltung signalisiert anderen Gruppen: hier gehörst du nicht rein“, so Johanna Meister. Ihre ganz persönliche Theorie für den überwiegenden Leerstand der Galerie: „Diese Aussage spricht den Augsburger nicht an“. Auf dem Weg durch die Altstadt Richtung Citygalerie erfuhren die Exkursionsteilnehmer Einiges zum Altstadt Augsburg Aktiv e.V. und zur CIA. Beide Vereine haben sich eine attraktive Innenstadt zum Ziel gesetzt, „aber nicht weil die Stadt schön sein soll sondern um Umsatz zu generieren“.

Neben rechtlichen und sozial-funktionalen Kriterien ist es vor allem die Zugänglichkeit, die den öffentlichen vom privaten Raum unterscheidet. Dies konnten die Teilnehmer eindrucksvoll beim „City Park“ südlich der Citygalerie erleben. „Privatgrund – Durchgang nur für Bewohner der Wohnanlage“ ist am Tor zu lesen. Ein Fall von sozialer Exklusion: „Leute, die da drin wohnen, nehmen nicht mehr am öffentlichen Leben teil“, so Johanna Meister.

„Gated Community“ – verschlossenes Tor zum City Park

Barrieren materieller und symbolischer Art

Letzte Station der Führung war die Citygalerie, eine „Stadt im Kleinen“ mit der Strategie „Einkaufen als Erlebnis und Freizeitaktivität“. Bedenklich ist für Johanna Meister daran die Übernahme von Aufgaben früherer öffentlicher Räume wie des Dorfplatzes durch einen privaten Raum – Funktionen wie: sich treffen, aufhalten, dabeisein wollen. Die Galerie sei zwar schön gestaltet, biete Parkplätze, viele Geschäfte auf einem Fleck, trockenen Aufenthalt und eine relativ sichere Umgebung für Kinder, so Meister. Besucher könnten jedoch jederzeit verdrängt werden, wenn sie nicht ins Schema des Konsumenten passen. So gebe es in den USA bereits das Phänomen älterer Damen, die nicht konsumieren können und sich mit gefüllten Einkaufstüten tarnen, um in solchen Malls „dazuzugehören“.

Verdrängung wird zum einen durch die Hausordnung ermöglicht, die u.a. das Sitzen an nicht dafür vorgesehenen Stellen, missbräuchliche Toilettennutzung und ganz pauschal „unnötigen Aufenthalt“ verbietet. Zum anderen existieren zahlreiche Barrieren materieller oder symbolischer Art, die zur sozialen Ausgrenzung beitragen. Die Exkursionsteilnehmer durften diese bei einem Rundgang durch die Citygalerie selbst erkunden und fanden als subtile Barrieren die großen Drehtüren, die strikte Sauberkeit, die „Ästhetisierung“ des Raums und die Geldautomaten an beiden Eingängen, die jedem Eintretenden signalisieren: „Ohne Geld brauchst du gar nicht erst hier rein“.

Benthams ideales Gefängnis

In einem weiteren Punkt waren sich die Teilnehmer einig: Das Prinzip der Überwachung und Kontrolle tritt offen zutage. Alles ist hell, es fehlen Rückzugsmöglichkeiten, man ist immer unter Beobachtung zahlreicher Überwachungskameras, auf die auch deutlich hingewiesen wird. Für Johanna Meister ist bereits die Architektur der Galerie auf Kontrolle angelegt. Gleichsam wie im „idealen Gefängnis“, dem „Panopticum“ des liberalen Aufklärers Jeremy Bentham – für den Philosophen Michel Foucault Inbegriff und Modell der modernen westlichen „Disziplinargesellschaft“ – sind alle Geschäfte zum Innenraum hin komplett offen und zentral einsehbar.

Attac am Eingang zur Citygalerie – mit Sonnenblume: Soziologin Johanna Meister

» Panoptikum – das ideale Gefängnis

» Wikipedia: Gated Community