Augsburg heißt jetzt Brechtburg
Brechtfestival: „Plan B“ im großen Sitzungssaal
Von Frank Heindl
Seit mehr als 50 Jahren streiten sich die Augsburger, wie sie mit Brecht umgehen sollen. Auch der Stadtrat spielte in dieser Diskussion eine – partiell unrühmliche – Rolle. Der Regisseur und Theaterleiter Sebastian Seidel (Sensemble Theater) hat sich durch die Akten geackert und den Versuch unternommen, aus vielen Peinlichkeiten ein Theaterstück über Augsburgs Verhältnis zu Brecht zu machen.
Zum rhythmisierten Sound von ploppenden Kronkorken, aneinanderstoßenden Flaschen und in Gläser strömenden Flüssigkeiten, kurzum: zu Partyklängen lässt Seidel zur Einstimmung Mitglieder des Downtown Dance Studios als „Stadträte“ in den japanischen Masken tanzen, die auch Brecht gerne verwendet hat. Starre Gesichter, viel anonyme Förmlichkeit, viel Shakehands, viel Pose. Dann nimmt man hinterm langen Pult Platz – wüsste man nicht, dass man sich im Großen Sitzungssaal des Augsburger Rathauses befindet, man könnte auch auf Gerichtssaal tippen.
Was vor diesem „Gericht“ vor sich geht, in dessen Mitte ein Oberbürgermeister thront und vor dessen Schranken sich zwei „Fraktionsvorsitzende“ und ein „Protokollführer“ mehr oder weniger absurde, aber leider doch sehr reale und aktenmäßig bekundete Wortgefechte liefern, bleibt nun leider ein wenig unentschieden: Satire oder Boulevardkomödie, Klamauk oder ernsthaftes Hinterfragen? Jedenfalls trägt zunächst einmal der echte Timo Köster vom Büro für Frieden und Interkultur die Begründung eines Antrags vor, Augsburg in „Friedensstadt“ umzubenennen. Im Prinzip sagt Köster das, was er bei solchen Gelegenheiten immer sagt – er legt lediglich einen Zahn zu, indem er nicht nur im Namen der Stadt plädiert, sondern gleich „für die Zukunft des Planeten“ streitet. Ihm folgt der Buchhändler und stadtbekannte Brecht-Fan Kurt Idrizovic, dargestellt vom Buchhändler und stadtbekannten Brecht-Fan Kurt Idrizovic. In einer Rede an den „lieben Herrn Brecht“ spricht er sich für die Umbenennung Augsburgs in „Brechtburg“ aus.
Die Theatergemeinde warnte vor Brechts „Maßlosigkeit im Gemeinen“
Vor und nach diesen Plädoyers wird gestritten, wie es in den Akten steht und wie es im Stadtrat halt leider auch heute noch oftmals die Regel ist: mit unterirdisch schlechten Argumenten, Phrasen und Vorurteilen. Vom „Stückeschreiber Brecht“ ist da – und war damals – die Rede, von einer Theatergemeinde, die sich als Theaterverhinderungsgemeinde aufführte, indem sie dem „klassenkämpferischen Kommunisten“ Brecht eine „Maßlosigkeit im Gemeinen“ und eine „trostlose Philosophie“ vorhielt, offensichtlich die Aufgaben von Theater und Philosophie mit denen der Religion verwechselnd. Die Wende setzte, wenn man diesen Protokollen glauben darf, mit den mutigen Worten von Landrat Vogele ein, der in Brecht Zukunftsträchtiges erkannte, nämlich – nicht nur Timo Köster kann hochstapeln – „die Antwort auf die Frage, wie Augsburg zu Ansehen in der Welt gelangen kann.“ Das dürfte die Geburtsstunde der „Dachmarke Brecht“ gewesen sein, die bis zum heutigen Tag beinahe jeder Stadtratspolitiker gerne im Munde führt.
Es gibt erboste – geschauspielerte – Zwischenrufe aus dem Publikum, die Frau Fraktionsvorsitzende rappt nicht für Peace, sondern für Brecht, die CSU kriegt ein bisschen Fett ab, indem auf ihrer nicht so genau zu beziffernden Fraktionsstärke herumgeritten wird (ein damals wie heute virulentes Problem) – und am Schluss geben die Christsozialen nach: Sie stimmen der Umbenennung Augsburgs in Brechtburg zu. Bereiten aber sofort ein Bürgerbegehren vor, um diesen Beschluss schnellstmöglich wieder zu kippen.
Eine Satire wäre durchaus möglich gewesen
Theater war’s nicht – dazu war das Stück zu wenig dramatisiert, zu wenig theatralisiert. Satire war’s auch nicht so recht – dazu hätte es deutlich deftiger und zugespitzter zugehen müssen, und das wäre durchaus möglich gewesen. Wenn der „Oberbürgermeister“ im Stück schon zugibt, kein Brecht-Kenner zu sein, dann hätten sich hier beispielsweise ein paar lustige Zitate aus einem kürzlichen AZ-Interview angeboten. Sicher, den ganzen peinlich-reaktionären Kram von damals mag heute keiner mehr wiederholen in den aktuellen Diskussionen. Aber wie der Brecht gegenwärtig zur Marke verkommt, wie sein Name und sein Werk heute planvoll tourismuskompatibel unter die Leute gebracht werden, das hätte sich glänzend mit der Vergangenheit konfrontieren und zu einer wirklich erkenntnisfördernden Satire verdichten lassen. Aus Unentschiedenheit aber konnte kein großes Werk resultieren – übriggeblieben ist ein leidlich lustiger Augsburg-Schwank, in dem alle spritzten, aber keiner nass wurde.
Fotografin: Nina Hortig. Bildrechte: Brechtfestival.