DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Freitag, 22.09.2023 - Jahrgang 15 - www.daz-augsburg.de

Aufbruch zur „Bildungsregion Augsburg“

Das von der Staatsregierung ausgelobte Gütesiegel „Bildungsregion“ bot dem  Bildungsreferat Anlass, alle relevanten Institutionen der Stadt an einen Tisch zu holen. Impressionen von der „Zukunftswerkstatt Bildungsziele“

Von Halrun Reinholz

Prof. Dr. Werner Wiater vom Lehrstuhl für Schulpädagogik bespricht mit seinen Studenten die Moderation der Zukunftswerkstatt

Prof. Dr. Werner Wiater vom Lehrstuhl für Schulpädagogik bespricht mit seinen Studenten die Moderation der Zukunftswerkstatt


Gewusel an einem Freitagnachmittag in der Grundschule Göggingen West: Gut 100 Teilnehmer haben sich eingefunden, um auf Einladung des Bildungsreferats „Bildungsziele“ für Augsburg zu erarbeiten. Lehrer aller Schulen sind dabei, aber auch Fachleute und Multiplikatoren aus anderen Bildungs­bereichen – der Jugendhilfe, der Jugendarbeit, der Jugend­sozialarbeit, der Gewalt­prävention, der Kinder­tages­betreuung, aber auch aus Institutionen der Erwachsenen­bildung und der beruflichen Weiterbildung. Denn der Bildungsbegriff, der hier zugrunde liegt, ist ein ganzheitlicher, wie Klaus Maciol, im Schulreferat zuständig für Jugendhilfe- und Bildungsplanung, betont.

Nicht nur die schulische Laufbahn entscheidet über den Lebensweg von Jugendlichen, hob auch Bildungsreferent Herrmann Köhler in seiner Begrüßung hervor, sie werden in allen Lebensphasen von ihrem Umfeld geprägt, deshalb muss Bildungsarbeit alle Lebensbereiche mit einbeziehen. Nicht ohne Grund hat man für das Projekt auch das Sozialreferat ins Boot geholt, wo das Jugendamt und die Projekte der Jugendhilfe angesiedelt sind. Den theoretischen Unterbau für die Bildungsziele liefert der Lehrstuhl für Schulpädagogik der Augsburger Universität unter der Leitung von Prof. Dr. Werner Wiater, der die Universität gleichsam als politisch neutralen Raum für den „Außenblick“ auf die Bildungslandschaft sieht. Auch Prof. Wiater verwirft in seiner Einführung das gängige Klischee, dass „Bildung die Kinder zum Gymnasium führen muss“ und definiert Bildung als einen Prozess der Persönlichkeitsfindung in jedem einzelnen Menschen, der niemals abgeschlossen ist. Das familiäre und soziale Umfeld ist daran ebenso beteiligt wie die Schule und die Bildungseinrichtungen, deshalb ist auf allen Ebenen gegebenenfalls eine „Personalführung“ notwendig. Dem Projekt liegt der Bildungsbegriff von Hartmut von Hentig zugrunde, der sich auffächert in persönliche Bildung, praktische Bildung (um im Leben zurecht zu kommen) und gesellschaftliche Bildung, die zur Teilhabe qualifiziert. Der Bildungsauftrag erfordert unter dieser Prämisse die Vernetzung aller „Bildungsorte“ in Augsburg.

Ansätze aus der Praxis liefern Daten

Brainstorming über Bildungsziele in den Arbeitsgruppen

Brainstorming über Bildungsziele in den Arbeitsgruppen


Wie kam das Schulreferat auf dieses Projekt? Der Bildungsbericht 2012 zeigte deutlich, dass es Defizite gab in der Stadt. Keine Brennpunkte, wie in so manch anderer Großstadt, aber doch ganz klar Problemviertel, wo der „Bildungsindex“ deutlich vom Schnitt abwich. Die Ursachen? Der Migrationshintergrund allein greift zu kurz, vielmehr wirkt ein Geflecht aus mehreren allgemeinen sozio-ökonomischen Faktoren. Anlass für das Bildungsreferat, sich Gedanken über Bildungsbeteiligung zu machen, wie man über die Schule hinaus die „bildungsfernen“ Menschen erreichen und ihnen Möglichkeiten der Gestaltung ihrer Zukunft aufzeigen kann. Das von der Staatsregierung ausgelobte „Gütesiegel Bildungsregion“ kam dem Schulreferenten gerade recht, es bot die Möglichkeit, sich mit dem Thema fundiert auseinanderzusetzen. „Es geht um den Prozess, nicht um das Siegel“, räumt Köhler ein. Der Bildungsbericht habe zunächst dazu geführt, dass Gespräche in den betroffenen Stadtteilen geführt wurden, die Daten wurden so „biographisch lebendig“. Und es gab vor Ort, in den Stadtteilen mit niedrigem Bildungsindex, auch Ansätze, die Defizite abzufedern – Stadtteilinitiativen, Netzwerke, Arbeitskreise, die sich bereits vor Erstellung des Bildungsberichts aktiv einbrachten. Hier setzte das Projekt Bildungsregion an. Der Lehrstuhl für Schulpädagogik begleitete und untersuchte die bestehenden Maßnahmen und kam so zu evidenzbasierten Daten. „Daten sind es schließlich, die zählen, nicht Gefühle, wenn es um die Situation in einem Stadtteil geht“, ist Bildungsreferent Köhler überzeugt. Und die Entwicklung gibt ihm recht, denn durch die konkrete Vorgehensweise hat sich seit dem Bildungsbericht 2012 (auch ohne Gütesiegel) bereits einiges zum Positiven verändert.

„Zukunftswerkstatt“ durch Zusammenwirken aller Bildungsträger

Ergebnisse der „Kritikphase“ werden im Plenum präsentiert

Ergebnisse der „Kritikphase“ werden im Plenum präsentiert


Doch so wichtig der Blick in die Praxis auch ist, das Projekt „Bildungsregion“ muss flächendeckend wirken und alle Aspekte abdecken. Zu den fünf Säulen, die eine Bildungsregion ausmachen und stützen, gehören die Vernetzung von schulischen und außerschulischen Bildungsangeboten sowie die Stärkung und Entwicklung der Bürgergesellschaft durch Jugendarbeit und Ganztagesangebote. Hinzu kommen konkret die Förderung von Talenten, die Organisation und Begleitung der Übergänge und der Umgang mit den Herausforderungen des demographischen Wandels. Auf dieser Basis sollte die Zukunftswerkstatt konkrete Bildungsziele entwickeln, die in das allgemeine Stadtentwicklungskonzept einfließen. Die Arbeitsgruppen nahmen sich verschiedene Teilbereiche vor – von der Bildung im Grundschulalter, über die verschiedenen schulischen Übergangsphasen und den Einstieg ins Berufsleben bis hin zur Erwachsenenbildung. In einer „Kritikphase“ wurden von den (meist fachlich konkret Betroffenen) Wünsche formuliert und im Plenum gewertet, danach folgte in jeder Arbeitsgruppe die „Fantasiephase“, in der die Grundlagen für Handlungsziele erarbeitet wurden.

„Bildung ist das Resultat dessen, wie sich die einzelne Person mit der Welt beschäftigt“

Mögliche konkrete Bildungsziele, die sich daraus ergeben, sind etwa die Stärkung frühkindlicher Bildung, die Nutzung des öffentlichen Raums als Bildungsort, die ganzheitliche Gestaltung von Lebens- und Bildungsphasen und die Wahrnehmung der Schulentwicklung als Teil der Stadtentwicklung. Mit konkreten Anliegen (Personal, Zeit, Räume, Zusammenarbeit …) geht es letztlich darum, die Teilhabe aller an der Bildung zu fördern und die vorhandene Vielfalt ebenso wie Synergien positiv zu nutzen. Im Juli soll noch ein zweites Dialogforum folgen, danach wird das Bildungsreferat die Unterlagen für das Gütesiegel einreichen. „Nicht, weil die Diskussion dann  abgeschlossen ist“, betont Bildungsreferent Köhler, „sondern nur als Zwischenstand. Die Entwicklung muss als ständiger Prozess und im Austausch aller Beteiligten immer weiter gehen.“ Das Gütesiegel wird kommen, da ist sich Köhler sicher, andere Städte haben es mit weit weniger Aufwand erreicht. Aber für den Prozess und die Diskussion von Bildungszielen ist es unerheblich. „Je genauer wir über Probleme bescheid wissen, desto besser können wir unsere Wünsche formulieren und Anträge stellen. Das ist entscheidend,“ weiß Köhler. Prof. Wiater erinnert daran, dass Bildung nicht „gemacht“ werden kann, sondern das Resultat dessen ist, wie die einzelne Person sich mit den „Dingen der Welt“ beschäftigt. Die Aufgabe der Bildungsinstitutionen ist es, die Wege zu dieser Beschäftigung mit den Dingen zu weisen und zu ebnen.