Auf der Suche nach der Mitte müssen viele Irrtümer gelebt werden
Warum WBG-Chef Edgar Mathe Schalke-Fan ist
Von Siegfried Zagler
FCA gegen Schalke. Pokal. Flutlichlicht. Fußballfieber. Es wäre beim Augsburger Sport-Highlight des Jahres schöner gewesen, im M-Block hinter dem Tor zu stehen, um ungeniert mit MdB/Stadtrat und Hardcore-FCA-Fan Alexander Süßmair die üblichen Gesänge anzustimmen, aber eine nachhaltige Grippe im Vorfeld der Begegnung zwangen den Schreiber dieser Zeilen zu bitteren Umbuchungen, also:
Haupttribüne
Block D
Reihe 7
Sitz 21
Klasse Sicht, seltsamer Platz. Edgar Mathe und Kurt Idrizovic in unmittelbarer Nachbarschaft, Stadtrat Prof. Rolf Harzmann in Sichtweite, dahinter Bildungsreferent Hermann Köhler, also umstellt von einer Riege honoriger B-Promis. Zufall? Erster Gedanke: In der Halbzeit doch noch in den M-Block schummeln, dann röhrte Mathe kurz nach dem Anpfiff Schaaaaalke und der Abend roch wegen Mathes ungenierter Schalke-Leidenschaft und der insgesamt großartigen Atmosphäre im Stadion sofort – auch in dieser halbsaturierten Ecke – richtig nach Fußball.
Edgar Mathe ist in Lechhausen aufgewachsen als Lechhausen noch richtig bayerisch – und eine Fahrt in ins Stadtzentrum eine gefühlte Weltreise war. Mathes Vater war Elektriker bei Osram, und als Arbeiterkind hat man in den wichtigen Fragen des Lebens oft nicht die Wahl, sondern wird frühkindlich von der Leidenschaft des Vaters geprägt. Bei Mathe war das anders. Sein Vater war 60er-Fan und Mathes Hinwendung zu Schalke hat mit der für Mathes Generation klassischen Rebellion gegen die elterliche Autorität zu tun. Seine Hinwendung zu Schalke kam vermutlich aus der von Mathe seit frühester Jugend gepflegten Balance zwischen Nähe und Distanz. Der FC Bayern waren nicht erdig und barackig genug und die Löwen saßen in Gestalt des Vaters im Wohnzimmer. Also nicht der TSV und erst recht nicht der geleckte FC Bayern mit Beckenbauer, Müller, Maier, Roth, sondern die Kremers-Zwillinge, Libuda, Rüssmann, Fichtel und vor allen: Norbert Nigbur.
In Lechhausen Schalke-Fan werden zeugt von einer geordneten Rebellion
Mathe war ein lausiger Kicker und im damaligen Lechhausen verfuhr man auf den Lechwiesen nicht anders als am Strand von Copacabana: Wer es nicht konnte, musste ins Tor. Auf der Linie war Mathe trotz seiner Größe ein Riese, auch bei flachen Bällen. In der Strafraumbeherrschung und in der Spielantizipation…nun ja. Und so könnte man eine tiefe Identifikationslinie zu Norbert Nigbur aufbauen, der in seiner Zeit auf der Linie zu den weltbesten Torhütern gehörte, aber in der Strafraumbeherrschung seine Schwächen hatte. In Lechhausen aufwachsen und Schalke Fan werden, zeugt von einer geordneten Rebellion nach innen und von einem wohldosierten Widerstand gegen die äußeren Verhältnisse, die so schwer nicht zu ertragen sind, wenn man einen Fußballverein drüber legen kann. Die ewige Suche nach der eigenen Identität ist im aristotelischen Sinn nichts anderes als die Suche nach der Mitte. Auf dem langwierigen Weg dorthin, ist das menschliche Herz vielen Gefahren und Irrtümern ausgeliefert, denn die Mitte, die sich ohne große Pendelschläge herstellen lässt, bildet nach hellenistischer Auffassung kein allzu starkes Zentrum heraus. Zur “wahren Mitte” gehört zum Beispiel die Tugend, die uns zur Einsicht und Selbstkritik befähigt.
Vielleicht wollte Mathe zu Beginn seiner lebenslangen Schalke-Sucht nur mutig ausprobieren, ob ihm Schaaaalke jemand abnimmt und ob das in seinem Umfeld überhaupt durchsetzbar ist. Mathe ist mit seiner WBG in den letzten zehn Jahren zu einem der größten und wichtigsten Dienstleister der Stadt Augsburg geworden. Er ist nicht irgend einer, sondern der Finanzierungs- und Projektsteuerungsmeister für städtische Bauangelegenheiten. Dass er in dieser Funktion in absehbarer Zeit aufgrund der Baufehler im CFS im Feuer stehen könnte, sieht Mathe inzwischen mit der gebotenen Gelassenheit. Nach einem langgezogenem Schaaaaaalke zeigte Mathe auf die Frage, wie er denn die Sichtlinien hier so finde, sein außergewöhnliches Talent zur Spontankomik. Der WBG-Chef rückte sich die Brille zurecht und zog ein übertrieben ernstes Gesicht, um zu signalisieren, dass man ihm während des Spiels nicht mit der Hölle des aktuellen Alltags zu kommen habe: „Perfekt, Herr Zagler, perfekt!“