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Mittwoch, 21.08.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Auf der Höhe der Zeit

Brechtfestival: Paul Vincent im Parktheater

Von Frank Heindl

Der Anfang vom Ende: Die letzte Vorstellung im Rahmen des Brechtfestivals vor der großen Schlussgala gab’s am Montagabend im Parktheater. Der (Rock-)Musiker und Filmkomponist Paul Vincent Gunia präsentierte seine Brechtkompositionen – eine Reihe von sehr unterschiedlichen Werken, Produkte einer durchaus eigenständigen Herangehensweise an den Dichter.

Zunächst mag es skurril erscheinen, wie der 59jährige Gunia auf die Musik von Brecht und Weill kam: Anlässlich eines Brechtfestes in Hamburg machte ihn dort der Rockmusiker „Sting“ darauf aufmerksam, dass die beiden überall auf der Welt gespielt würden – nur in Deutschland nicht. Was so pauschal nicht stimmt, aber wohl doch zu der Beobachtung von Theaterleuten passt, die ähnliches für die Bühnenpräsenz des Dramatikers Brecht diagnostizieren. Gunia jedenfalls machte sich ans Werk und konnte das Ergebnis nun auch in Augsburg präsentieren.

Streichmusik im Maschinenzeitalter – das Prismaquartett

Streichmusik im Maschinenzeitalter – das Prismaquartett


In drei Teile gliederte sich der Abend. Zunächst präsentierte das Prisma-Streichquartett Werke von Gunia, unterbrochen von Brechtgedichten, die Gunias Frau Monika vortrug. Da entstand ein wirkungsvolles Geflecht aus – wenn auch mitunter deutlich zu pathetisch vorgetragener – Brechtscher Lyrik und einer Musik, die in prägnanter Rhythmik und manischem Tempo Brechts Kritik am entmenschlichten Maschinenzeitalter vorführte. Rhythmik und Tempo bis hin zur stampfenden Monotonie waren auch das musikalische Thema im zweiten Teil, bei der nun folgenden Uraufführung: Gunia hat für seine Rockband den im Rahmen des Festivals auch ausschnittsweise schon mehrfach gezeigte Stummfilm vertont, den Brecht zusammen mit Karl Valentin gedreht hat: In den „Mysterien eines Frisiersalons“ wird einem Kunden versehentlich der Kopf abgesäbelt. Die vorangehenden wie die resultierenden Verwirrungen setzt Gunia um in eine unaufhaltsam vorwärtsdrängende Maschinerie aus Bongorhythmus, scharfem Schlagzeugantrieb, stetig pulsierendem Bass und kantigen Riffs von der E-Gitarre. Er vermeidet mit dieser Umsetzung radikal jeden Anklang an die Jahrmarktmusik der 20er-Jahre, die man eventuell hätte erwarten können. Und führt sie doch auf anderem Niveau wieder ein in der absurd grellen Variation des Immergleichen, das unweigerlich zur Katastrophe führt – und zur Lächerlichkeit.

Im dritten Teil des Abends schließlich kombinierte Gunia sehr subjektiv Brechtsongs und -gedichte mit eigenen musikalischen Assoziationen. „Mackie Messer“ kam auf berlinerisch und ein bisschen im Stil von „Element of Crime“ daher – passend die hohe, jugendliche Stimme von Gunia. Danach gab’s Eleanor Rigby von den Beatles mit einem von Pink Floyd abgeschauten Intro und ein bisschen „Lucy in the Sky with Diamonds“ im Zwischenteil. Und schließlich wurde das Gedicht „An die Nachgeborenen“ mit Bachs „Air“ aus der 3. Orchestersuite kombiniert: Barock und Brecht und E-Gitarre. Das Resultat war trotzdem nicht Kitsch, sondern ein wenn nicht gerade avantgardistischer Brecht, so doch einer auf der Höhe der Zeit. Was man auch als Bewertung für den ganzen Abend gelten lassen könnte.