Ansichten einer Anfahrtszone
Für Hubert Aiwanger erkennt man die Höhe der Kultur eines Landes an der Qualität der Straßen. Für andere sind die schriftlichen Reflexionen in dieser Frage von Bedeutung. Und dennoch muss man nicht mit dem albernen Genitiv eines jungen Bertolt Brecht kommen („Kants Land“) um einen kleinen Fauxpas wie diesen zu ironisieren. Es handelt sich nicht um ein semantisches Desaster und auch nicht um eine weitreichende Inkompetenz-Verlautbarung. Es ist nicht viel mehr passiert als ein „t“ zu viel. Dennoch soll ein wenig Spott zum Jahresende erlaubt sein. Das Schild mit dem orthographischen Witz (oder heißt es „orthografisch“?) steht bei der Brechtbühne. Kaum ein anderes Gebäude der Stadt war umkämpfter als die Brechtbühne – inklusive Namensgebung. Wir erinnern uns an die öffentliche Einmischung der Theaterleitung, die ein temporäres Schauspielhaus genau an diesem Ort wollte. Ein Schauspielhaus, das nun bei der anstehenden Sanierung des Großen Hauses im Weg stehen soll, wie aus den Tiefen der Verwaltung zu vernehmen war. Macht nichts, schließlich versteht man unter „temporär“ eine überschaubare zeitliche Dauer. Für das Schild ist das Tiefbauamt verantwortlich. Das Amt schrieb es selbst auf die Grundtafel und montierte es an dieser Stelle. Brecht hätte es wohl gefallen, wenn ein städtischer Arbeiter den Fehlerteufel erkannt und und es dennoch montiert hätte, um aller Welt zu zeigen, dass die Kunst des Schreibens nicht unbedingt zu den Privilegien der Obrigkeit gehört, was Staatssekretär Johannes Hintersberger kürzlich so eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Die Frage, ob noch weitere Irrläufer dieser Art an weniger sensiblen Orten montiert wurden, konnte das Tiefbauamt auf die Schnelle nicht beantworten. Dass zumindest dieses Schild schneller verschwindet als das temporäre Schauspielhaus gilt als ausgemacht.