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Freitag, 14.02.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Am Lagerfeuer von Juliane Votteler

In der Brechtbühne setzte sich vor 110 Besuchern am vergangenen Donnerstag auf einer Veranstaltung des Augsburger Presseclubs Theaterintendantin Juliane Votteler mit den hochkarätigen Fördersystemkritikern Pius Knüsel und Meinhard Motzko auseinander. Sieger des verhaltenen Wettstreites: das Theater Augsburg.

Von Siegfried Zagler

Von links nach rechts: Kurt Idrizovic, Pius Knüsel, Juliane Votteler, Meinhard Motzko, Horst Thieme

Pius Knüsel ist Kulturwissenschaftler und seit 2002 Direktor der Schweizer Kulturstiftung „Pro Helvetia“. Bekannt wurde er in Deutschland durch seinen radikalen Beitrag in der vielbeachteten Streitschrift „Der Kulturinfarkt“. Knüsel entwickelte aus den gesellschaftspolitischen Analysen und Schlussfolgerungen des Kultursoziologen Gerhard Schulze heraus einen scharfen Blick auf das relativ ungefährdet in sich ruhende deutsche Theatersystem, das in Deutschland stärker als in der Schweiz (Knüsel ist Schweizer) und stärker als in allen Ländern Europas mit öffentlichen Geldern gefördert wird und weiter einen hoch privilegierten Status inne hat, als hätte sich in den letzten 100 Jahren die Welt nicht verändert. Schulze, eine Art Godfather der Kulturinfarkt-Autoren, beschreibt die schleichende Marginalisierung des bürgerlichen Kulturbetriebs. Das bürgerliche Referenzmedium, die Kunst, insbesondere die Theaterkunst (lange Zeit Darstellungsort und Reflexionsmaschine bürgerlichen Bewusstseins), habe, so Schulze, als „höchstes Gut“ ausgedient und so seinen Anspruch auf die „kulturelle Mitte“ aufgegeben. Stattdessen existiere ein Angebot „neben allem und jedem ohne Bezug zueinander in einem gestaltlosen Haufen“, dem die Kunst ebenso angehöre wie ein x-beliebiger Faschingsverein.

„Viele kleine Theater werden an die Wand gequetscht“

Deshalb ist es für Pius Knüsel unverständlich, dass zum Beispiel die Kulturpolitik weiterhin ungebrochen in kulturelle Hochglanzeinrichtungen investiert, deren gesellschaftliche Relevanz längst nicht mehr existiert. Würde man, so Knüsel, die Hälfte der öffentlichen Subventionen der musealen Kultureinrichtungen streichen (wozu auch die Staats-und Stadttheater zählen) und diese Gelder in die freie innovative Kulturszene investieren, hätte man viel gewonnen. Knüsel begründet diese These mit den kulturellen Entwicklungen in den letzten 30 Jahren. Nicht in den Konzertsälen sei die Welt zum Besseren hin verändert worden, sondern auf der Straße durch Punk, Rap und Hip Hop. Heute sei es die Ästhetik der Computerspiele, die in der Kunst Akzente setze. Der Blick der Kulturbetriebe auf die Welt sei durch eine erstaunliche Blindheit gezeichnet, so Knüsel, der weniger  die Politik als die Stadtgesellschaften in der Pflicht sieht. Ohne Druck von der Straße werde sich nichts verändern. Jetzt könne man auf YouTube „Zürich brennt“ ansehen. „Machen Sie das, Schwarz-Weiß, eine Stunde vierzig, es ist wunderbar.“ Eine Empfehlung, die zeigt, welch radikaler Geist aus Knüsel spricht, wenn er zum Beispiel sagt, dass viele kleine Theater durch das öffentliche Fördersystem „an die Wand gequetscht werden.“

„Wenn man nicht die Stadtgesellschaft befragt, legen die Bauleute die Kosten fest“

Eine Empfehlung, die Meinhard Motzko mit großer Emphase teilen würde, hätte man ihn gefragt. Meinhard Motzko betreibt mit seiner Bremer Firma „Praxis Institut“ eine Art Qualitätsmanagement für öffentliche Kultureinrichtungen. Motzko ist Praktiker und wirkte an diesem Abend für seine Verhältnisse eher reduziert, obwohl Motzko, wenn man ihn fragt, für jedes Problem eine Antwort kennt. „Wenn man als Stadt eine kulturelle Einrichtung subventioniert, muss diese Subvention mit einer Aufgabenstellung verbunden sein“, so Motzkos Credo. „Welches Problem löst ihr für uns?“ Mit dieser Frage müsste die Kulturpolitik die Vergabe von Steuergeldern verbinden. Im Falle der Augsburger Stadtbücherei, mit der Motzko derzeit ein Konzept erarbeitet, heißt das zuvorderst der zunehmenden Leseschwäche entgegen zu wirken. Welches Problem kann das Augsburger Stadttheater lösen? Zunächst müsste es den demografischen Wandel und die damit einhergehende kulturelle Diversität aufgrund der Zuwanderung zur Kenntnis nehmen und das Ziel verfolgen, Theater für alle Publikumsschichten zu machen. Theater müsse ein Abbild der gegenwärtigen Gesellschaft entwickeln und somit einen Beitrag zur friedfertigen Vielkulturalität leisten. Motzko hat das so in in seinem großen DAZ-Interview entschieden zum Ausdruck gebracht und in der Gesprächsrunde nur vage angedeutet, weil er möglicherweise für seine Verhältnisse in der Runde wenig in den Dialog kam (Moderation: Kurt Idrizovic und Horst Thieme) und Knüsel wie Votteler in der Kunst des Vortragens in erstaunlichen Höhen „unterwegs waren“. Dennoch kam der härteste Satz zur kritischen Situation des Augsburger Stadttheaters von Meinhard Motzko: „Man muss vor der teuren Sanierung des Theaters die Stadtgesellschaft befragen, welches Theater man in dieser Stadt denn will. Tut man das nicht, legen die Bauleute die Kosten fest.“

Bombennacht und Religionsfrieden kommen auf die städtischen Bühnen

Es mag daran gelegen haben, dass die Kritik im Stadttheater zu Gast war, oder vielleicht daran, dass Intendantin Votteler sehr erfahren und rhetorisch beschlagen in der Verteidigung der Theaterkunst ist, vielleicht lag es an der ängstlichen Moderation, vielleicht aber auch nur daran, dass die Intendantin glänzende Argumente auf ihrer Seite hatte: Das Theater kam völlig unbeschädigt aus der Debatte. Für Votteler scheint nämlich kein Zweifel daran zu bestehen, dass sich das Theater von innen heraus neu legitimieren muss und kann. „Apparate in dieser Form müssen ständig neu überdacht werden.“ Votteler hat offenbar jeden Satz aus der Ecke der grundsätzlichen Kritik tausendmal gehört und sich längst vom Duktus der Empörung verabschiedet. Sie räumte ein („Manchmal wird man schon nachdenklich, ob man nochmal „La Boheme“ machen soll“), wehrte geschickt ab („Ich halte nichts von Neiddebatten“) und zeigte sich intellektuell immer auf der Höhe des Problems. Ein Stadttheater müsse die Geschichte einer Stadt reflektieren: „Natürlich! Wir haben das mit den Augsburger Webern gemacht. Wir werden die Bombennacht noch thematisieren und danach den Augsburger Religionsfrieden.“ Ein Stadttheater habe natürlich den Auftrag, die Gesellschaft widerzuspiegeln.

„Daran hängen Existenzen, das ist unantastbar“

Ein Theater müsse politisch sein und das sei es auch. Das Theater als ein die Gesellschaft vorantreibender „Versammlungsort“: Juliane Votteler brachte das so entschieden und charmant zugleich rüber, dass in diesem Moment kein Mensch auf die Idee gekommen wäre, dass das für jedes Kaffeehaus, jedes Fußballstadion und jedes Kino auch gilt. Man hätte ihr stundenlang zuhören können. Das Theater als letzter Ort des intensiven Dialogs. Quasi als letztes Lagerfeuer einer Stadtgesellschaft. Und schließlich muss das Theater noch die Defizite einer falschen Bildungspolitik abarbeiten: „Das Theater hat einen Bildungsauftrag“, so Votteler, die die Gelegenheit nutzte, einen Appell an die Kulturpolitik der Stadt Augsburg zu formulieren. Von der Politik erwarte sie mehr Diskursfähigkeit, Fähigkeit zu einer Vision, da sie nicht „schleichend einen Betrieb umstrukturieren möchte.“ Dass dabei an 85 Prozent der 23 Millionen Euro Gesamtkosten nicht gerüttelt werden darf, steht für Votteler außer Frage. Das sind die festen Personalkosten der zirka 300 verbeamteten Backliner. „Daran hängen Existenzen, das ist unantastbar.“

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