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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Altstadt kaputt – im Hinterhof der Augsburger Maximilianstraße

Würde man das bayerische Denkmalschutzgesetz ernst nehmen, so müsste das „Kaiserviertel“ aus dem Ensemble „Altstadt Augsburg“ herausgelöst werden: Hier gibt es keine Altstadt mehr, hier gibt nicht einmal ein Mindestmaß an städtebaulicher oder architektonischer Qualität. Die Rede ist von dem Neubaugebiet im westlichen „Hinterhof der Maximilianstraße“: Man muss schon weitum suchen, um gegenwärtig eine derart rigorose Stadtzerstörung in einem so bedeutsamen historischen Altstadtkern zu finden.

Von Gregor Nagler



Zwischen dem Augsburger Rathaus und der Kirche St. Ulrich und Afra liegt die imposante Maximilianstraße, das „Herz der Stadt“, wie eine Ausstellung der hiesigen Kunstsammlungen vor einigen Jahren titelte. Der Stadtplaner Theodor Fischer nannte sie die „schönste und vornehmste aller Straßen“ und der Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels konstatierte, dass das Bewusstsein, an einem besonderen Ort zu bauen, über Jahrhunderte auch die Qualität der angrenzenden Architektur bestimmt habe. – Trotz Kriegszerstörung, trotz mancher langweiliger Neu- und Umbauten kann man die Lobpreisungen bis heute nachvollziehen: Wie an einer Perlenschnur reihen sich hier die Sehenswürdigkeiten, die Brunnen, das Rathaus und der Perlachturm, St. Ulrich und Afra, das Schaezlerpalais, weiter im Norden der Dom. Wer sich aber in die westlichen Seitengassen wagt, in die Armenhausgasse, die Kapuzinergasse, die Weite Gasse oder den Kitzenmarkt, steht unvermittelt in einem Neubaugebiet, das aussieht wie eine x-beliebige Trabantenstadt. Nicht nur die anspruchslose Modulbauweise ist bestürzend, sondern auch das Fehlen jeglicher struktureller Einpassung oder städtebaulich innovativer (öffentlicher) Nutzung. Man muss schon weitum suchen, um gegenwärtig eine derart rigorose Stadtzerstörung in einem so bedeutsamen historischen Altstadtkern zu finden.

„Augsburg, wo ist Deine Altstadt?“

Wie eine x-beliebige Trabantenstadt: Gassen westlich der Maximilianstraße

Wie eine x-beliebige Trabantenstadt: Gassen westlich der Maximilianstraße


Auf einem Paste-up (ein Streetart-Plakat) am Kitzenmarkt, das bereits wieder entfernt ist, stellte eine scheinbar vor Entsetzen mutierte Zirbelnuss denn auch konsequent die Frage: „Augsburg, wo ist Deine Altstadt?“ Wer wissen möchte, wie es dazu kommen konnte, muss in die 1990er Jahre zurückblicken: Die Stadt Augsburg hatte seit der Ratifizierung des bayerischen Denkmalschutz­gesetzes (1973) erfolgreich die Sanierung des Lech- und des Ulrichviertels betrieben. Mit der Wiedervereinigung aber flossen die Mittel der Städtebauförderung nicht mehr hierher, sondern in die Altstädte des deutschen Ostens mit ihrer nun weitaus verwahrlosteren Bausubstanz. Gleichzeitig stand auch Augsburg vor riesigen Problemen: Nicht nur, dass der Niedergang der Textilindustrie unumkehrbar war und die Stadt auf großen Flächen mit Industriebrachen saß, auch die US-Truppen verließen jetzt ihren Standort im Westen der Stadt. Es dürfte nur wenige deutsche Städte vergleichbarer Größe mit solch riesigen Konversionsflächen gegeben haben. Hinzu kamen die für eine ehemalige Industriestadt typische heterogene Bevölkerungsstruktur und die geringe Kaufkraft.

Ein Neubaugebiet nach dem anderem schießt aus dem Boden

Die Versuche der Stadt, sich ein neues Profil zu geben, scheiterten: Als Kulturhauptstadt unterlag man schon auf bayerischer Ebene dem viel „hübscheren“ Regensburg, staatliche Einrichtungen wurden abgezogen – so gab beispielweise die Musikhochschule nur ein kurzes Gastspiel, ehe sie zugunsten des Standorts Nürnberg geschlossen wurde – und die Bilder der Staatsgalerie für moderne Kunst wanderten nach München in die Pinakothek der Moderne. Irgendwann in den 1990ern muss sich die Politik entschlossen haben, der betrübten Nabelschau ein Ende zu setzen und das zu Geld zu machen, was im Überfluss vorhanden war, nämlich die brachliegenden Flächen. Stagnierte der Augsburger Wohnungsmarkt in den 1990er Jahren noch, so stieg die Nachfrage seit der Verbesserung der Zug- und Autobahnverbindung nach München stark und plötzlich an. Ein Neubaugebiet nach dem anderem schießt seither aus dem Boden. Meist plant die Kommune eben nur Straßennetz und Grünflächen, während die Wohnbauten von Investoren errichtet werden.

Apostelin-Junia-Kirche im Sheridan-Park

Apostelin-Junia-Kirche im Sheridan-Park


Wenn hier ein Gebäude positiv aus dem Rahmen fällt, ist es meist kommunal wie die Kindertagesstätte an der Josef-Felder-Straße von Hiendl & Schineis oder von einem öffentlichen Träger errichtet, wie die Apostelin-Junia-Kirche von Frank Lattke. Gerade im Textilviertel, dem einst besonders viel städtebauliches Potential attestiert wurde, überwiegen dank lange fehlender übergreifender Planung nun die „unwirtlichen“ Orte; Schallschutz­mauern umziehen den Glaspalast, das Herzstück des Gebietes.

Nach der Präsentation der ersten Modelle hagelte es Kritik

Ebenfalls bis in die späten 1990er Jahre zurück reicht die Überplanung des Gebietes im Westen der Maximilianstraße: Hier standen die Bauten der zwei traditionellen Brauereien „Hasen-Bräu“ und „Goldene Gans“. Beide verlegten ihren Betrieb aus der Altstadt heraus, wodurch eine innerstädtische Brache drohte. Der im Jahr 2000 vom Architekturbüro Schrammel erstellte Bebauungsplan unter dem hochtrabenden Titel „Kaiserviertel“ sah immerhin den Erhalt der Mälzerei von Hasen-Bräu, nicht jedoch den Schutz des architektonisch ungleich zeichenhafteren Sudhauses vor – der Turm mit seinem bekrönenden „Hasen-Logo“ war von der Maximilianstraße aus zu sehen. Bereits auf diesen Plänen ist die Blockrandbebauung zum Teil durch Zeilenbau in dichter Reihung aufgebrochen. Dadurch sollten neue Nord-Süd-Verbindungen entstehen – ein schöner Gedanke, der der überkommenen Struktur allerdings völlig zuwiderläuft.

Zunächst versuchte die Hasenbräu-Immobilien-AG das Gelände zu bebauen – nach Präsentation der ersten Modelle hagelte es Kritik in der lokalen Presse, sodass nur ein Zeilenbau vollendet werden konnte. 2005/06 erwarb schließlich die Inselkammer-Gruppe das Areal zwischen der Weiten Gasse und der Armenhausgasse. Statt Zeilenbau realisierte Klaus-Wohnbau hier eine noch offenere Architektur mit rechteckigen Blöcken. Den südlich anschließenden Bereich bebaut gerade Hipp Immobilien.

Maximilianstraße wirkt jetzt wie ein potemkinsches Dorf

Hasenbräu-Einfahrtstor

Alles was blieb: das Hasen-Bräu-Einfahrtstor


Im Moment folgt der Nordteil des nun vollständig freigeräumten Gebietes zwischen Armenhaus- und Kapuzinergasse, nachdem 2012 die Mälzerei als nicht denkmalwürdig eingestuft wurde. Ein im Juni desselben Jahres von den Grünen gestellter Antrag, dieses Gebäude zu erhalten, wurde deshalb nicht verfolgt, sodass Klaus-Wohnbau wieder weitgehend freie Hand für die Neuplanung hat. Nach Gesprächen mit Stadtheimatpfleger Prof. Dr.-Ing. Hubert Schulz will der Bauträger eine „Architektur der Erinnerung“ verwirklichen. Nicht fortgeführt werden konnte aber die seit 2010 in der Kapuzinergasse 15 existierende kreative Zwischennutzung, die Kunstaktion „Jean Stein“, deren Name auf den 2012 abgebauten Schornstein von Hasen-Bräu anspielte. Von den alten Brauereigebäuden blieben letztlich nur das prächtige Einfahrtstor von Hasen-Bräu, das künftig die Zufahrt zu einer Tiefgarage sein wird, ein auf Vermittlung des Stadtheimatpflegers stehen gebliebener Teil der Außenmauer der Mälzerei sowie ein Gebäude der Goldenen Gans. Ansonsten wurde Tabula rasa gemacht – nicht einmal Teile der alten Brauereikeller wurden einbezogen. Der Ort hat so seine Geschichte verloren; wer heute an der Armenhausgasse steht, steht im Nirgendwo einer gestalterisch meist völlig anspruchslosen, strukturell aber geradezu brutalen Bebauung. Kein Mensch, der nicht muss, läuft zwischen den sterilen, nach einem simplen Modulsystem errichteten Blöcken durch das Viertel. Die neue Dimension dabei ist, dass nicht nur die Industriebrachen im „Gürtel“ des 19. Jahrhunderts umstandslos fiskalischen oder kommerziellen Interessen geopfert werden, sondern ein Areal inmitten der ensemblegeschützten Altstadt, direkt angrenzend an die Maximilianstraße, die jetzt wie ein potemkinsches Dorf wirkt.

Wäre dies ein einmaliger Ausrutscher, man könnte es verschmerzen

Harrt der Sanierung: das Gignouxhaus

Harrt der Sanierung: das Gignouxhaus


Die Rede ist hier nicht von einer überschaubaren Baulücke, sondern von einem Gebiet, das flächenmäßig eine kleine Altstadt sein könnte. Wäre der unsensible Umgang mit den Arealen von Hasen-Bräu und Goldene Gans ein einmaliger „Ausrutscher“, man könnte es verschmerzen, aber in Augsburgs Altstadt häufen sich ganz ähnliche Fälle wie zum Beispiel das Beton-Parkhaus und die banale rückwärtige Aufstockung des Hotels „Drei Mohren“, der phantasielose Umbau der Häuser Zeugplatz 1/Zeuggasse 1a oder das Rückgebäude von Moritzplatz 6, dessen nicht verkleidete Haustechnik nun vom Martin-Luther-Platz aus sichtbar ist; dies in einer Stadt, in der die Rokokofabrik der Anna Barbara Gignoux mitten im schönsten Altstadtviertel oder das ehemalige Privatmuseum (um 1890) von Ludwig-August Riedinger einer Sanierung und sinnvollen Nutzung harren.

Darf sich eine Stadt die Nutzung zentraler Bereiche von Investoren diktieren lassen?

Natürlich soll eine Stadt sich verändern und natürlich waren die alten Brauereiareale teilweise stark vernachlässigt. Aber darf eine Stadt sich die Gestaltung und Nutzung zentraler Bereiche gegen den Rat der Denkmalpfleger oder des Baukunstbeirates von Investoren diktieren lassen? Müsste die Politik nicht wieder stärker auch die Positionen des Stadtheimatpflegers ins Auge fassen? Sollte nicht auch – neben Konversion und Entwicklung neuer Viertel – die einst so erfolgreiche Stadtsanierung wieder Mittel der Stadtplanung sein, um durchdacht gestaltete Orte für die gesamte Bevölkerung zu schaffen? – Würde man das bayerische Denkmalschutzgesetz ernst nehmen, so müsste das „Kaiserviertel“ aus dem Ensemble „Altstadt Augsburg“ herausgelöst werden: Hier gibt es keine Altstadt mehr, hier gibt es nicht einmal ein Mindestmaß an städtebaulicher oder architektonischer Qualität als Ausgleich für den Verlust überkommener Bausubstanz, wie sie in einem denkmalgeschützten Ensemble eigentlich selbstverständlich sein sollte.



Zum Autor:



Gregor Nagler studierte Kunstpädagogik, Kunstgeschichte und Volkskunde in Augsburg (Magister Artium). Seine Doktorarbeit „Über den Wiederaufbau Augsburgs nach dem 2. Weltkrieg“ steht kurz vor dem Abschluss. Naglers Aufsatz erschien zuerst in der der Jahresschrift des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege „Schönere Heimat“.