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Samstag, 23.11.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar zu #allesdichtmachen: Hey, was wollt ihr eigentlich? – Ihr seid doch nur Schauspieler

Warum das Video #allesdichtmachen ein übles Machwerk ist

Kommentar von Siegfried Zagler

Kunst darf alles, die Kunst ist frei und kann alles, wenn sie frei ist. Dieses Postulat verbindet Künste und Wissenschaften in offenen Gesellschaften. Auch die Wissenschaft muss frei sein. Viel mehr Berührungspunkte und Verbindungsachsen gibt es allerdings nicht, auch wenn die Kunst sich erfolgreich der Instrumente der Wissenschaften bedient, unterscheidet sich die Kunst von allen anderen Kulturen der Zivilgesellschaften dadurch, dass Kunst nicht wissenschaftlich sein muss. Die Kunst speist sich nicht aus empirischer Erkenntnisschöpfung, fußt nicht auf Überprüfbarkeit der Methoden und aus interdisziplinären Diskursen. Kunst schöpft sich aus dem Momentum des Gefühls, aus der Zusammenführung von subjektiven Empfindungen und individuellem Weltwissen in ein Narrativ, in eine Struktur, die lesbar, erfahrbar ist.

Das letzte große thematisch strukturierte Machwerk deutscher Künstler hieß “Deutschland im Herbst”, ein Episoden-Film von elf deutschen Regisseuren, darunter Rainer Werner Faßbinder, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge. Die Filmemacher versuchten, die autoritäre “postfaschistische” Bundesrepublik im Zusammenhang mit dem RAF-Terrorismus zu erklären: Eine Suada von Peinlichkeiten, die sich aus heutiger Sicht ins Unerträgliche verschoben hat, obwohl das Anliegen, das Gewollte selbstverständlich seine Berechtigung hatte. Die Filmkünstler fanden nicht die politische Sprache dafür, was es zu erzählen gab.

Insofern ähneln sich “Deutschland im Herbst” und die youtube-Beiträge, die unter #allesdichtmachen firmieren: 53 deutsche Schauspieler, die sich mit polemischen Wortbeiträgen zur deutschen Coronapolitik und zur Rolle der Medien äußern, finden mit ihren Clips weder die Sprache noch das Bild, die das Narrativ der Kritik an den Coronamaßnahmen der Bundesregierung benötigt: Polemik taugt nicht für Massenmedien. Es sei denn, man sucht mit dieser indifferenten Subjektivität Adressaten aus dem rechten Spektrum, sucht den Schulterschluss mit den Rändern der Zivilgesellschaften.

Heike Makatsch, Meret Becker, Jan Josef Liefers, Ulrike Folkerts, Ulrich Tukur und viele mehr verhöhnen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie mit den Mitteln der Besserwisser und Aluhutträger. Ihre Beiträge, die am späten Donnerstagabend unter #allesdichtmachen veröffentlicht wurden, überbieten sich vor Sarkasmus und Zynismus, ohne dabei konkret zu werden.

Jan Josef Liefers –  © screenshot youtube.com

Wie man den Tod von 80.000 Menschen, die allein in Deutschland an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung verstarben, hätte verhindern können, davon kein Wort. Auch über das Leid der Angehörigen, das Leid der Langzeitgeschädigten, wird in den Videos kein Wort verwendet. Die Schauspieler tun so, als würden sie die Maßnahmen unterstützen, fordern noch mehr (Folkerts) und feixen in Wirklichkeit darüber, dass die Politik versagt hat und unwirksame Maßnahmen erlässt. Volker Bruch appelliert an die Bundesregierung: “Macht uns mehr Angst.” Ulrich Tukur fordert, endlich auch die Supermärkte zu schließen. Denn sobald alle Menschen verhungert seien, könne sich das Virus nicht mehr verbreiten.

Auf jedem Neujahrsempfang der AfD wäre ein Best-off dieses Machwerks ein Brüller. Kurz: Es handelt sich um einen Tiefpunkt der Kunst, um einen unterirdischen Beitrag zur Coronadebatte.

Wer sich politisch äußert, muss dies verständlich tun, wenn er sich nicht an ein spezielles Publikum wendet. Natürlich ist die deutsche Coronapolitik ein überlaufendes Fass von Granatenfehlern und Ungerechtigkeiten, und selbstverständlich gab es dazu aus allen Ecken der deutschen Medienlandschaft kübelweise Kritik. Was also wollten uns die Schauspieler nahebringen? Dass man die deutsche Coronapolitik zu verachten hat, zu missachten hat? Verstehen Sie ihre Statements als Aufrufe zum zivilen Ungehorsam?

Den Regisseuren hat ihre filmische Verfehlung in den 70-ern nicht geschadet, bei den Schauspielern im Hier und Jetzt könnte es anders sein. Folkerts, Becker und Makatsch bedauern inzwischen ihre Beiträge, wohl aus Sorge um ihre Karrieren, es würde ihnen leid tun. Absicht und Zielführung ihrer #allesdichtmachen-Statements werden dabei nicht erklärt. Wie stets bei schlechter Kunst, würde eine wissenschaftliche Begründung der Künstlermotive helfen.

In Klaus Manns Roman “Mephisto” wird der Aufstieg des Schauspielers Gustaf Gründgens (kaum verhüllt mit der Romanfigur “Hendrik Höfgen”) im NS-Regime erzählt. Höfgen gilt dabei als Urtypus jener charakterlosen Schauspielergilde, die aus Karrieregründen nicht emigriert und in Deutschland vom NS-Regime profitiert und zu dessen Helfern wird. Am Ende sagt Höfgen, längst ein Spielball der Nazi-Schergen: “Was wollen die von mir, ich bin doch nur ein Schauspieler?”

Zum Verhältnis Schauspieler/Gesellschaft wäre viel zu sagen. Im Geiste von Klaus Mann möchte man den 53 Zynikern allerdings nur zurufen: “Hey, was wollt ihr eigentlich? Ihr seid doch nur Schauspieler.”