Alles Theater – oder was?
Die anstehende Theatersanierung wäre der richtige Zeitpunkt für eine Auseinandersetzung bezüglich der Rolle und der Bedeutung, die ein Stadttheater heute noch für eine Stadtgesellschaft hat. „In den bisherigen Einlassungen dazu übersieht man, dass das Theater nicht der kulturelle Nabel der Stadtgesellschaft ist“, so DAZ-Autor Peter Bommas, der in seinem Aufsatz einen „echten Diskurs“ einfordert.
Von Peter Bommas
Im Zuge der Diskussion um die geplante Theatersanierung wird das Bild vom Stadttheater als kulturellem „Herz und Hirn“ der Stadtgesellschaft beschworen, ohne dessen Existenz in bewährter, traditioneller Form die Stadt kulturell „vor die Hunde gehe“ und kein Zentrum mehr habe. Dieses Bild ist falsch. Solche Sichtweise verlängert eine kulturelle Aufgabenstellung aus dem vorigen Jahrhundert, eine am Bildungskanon orientierte Funktion und politische Legitimation in die Zukunft, ohne die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen und Diskurse angemessen zu berücksichtigen. Dieses Bild zementiert für lange Zeit eine finanzielle und definitorische Machtposition gegenüber der vielfältigen kulturellen Szene der Stadt. Daran ändern auch vage formulierte „Öffnungsprozesse“ nichts, solange Standort und Spartenausrichtung für sakrosankt erklärt werden.
Der Vorschlag der Ausschussgemeinschaft verweist auf die Notwendigkeit eines Diskurses
Der aktuell in die Debatte geworfene Vorschlag der Polit-WG zu einer „Neuausrichtung des Theaters“ reißt zum ersten Mal eine kleine Lücke in die stromlinienförmige Argumentation und verweist auf die Notwendigkeit eines stadtgesellschaftlichen Diskurses, bevor in Abstimmungen unumstößliche Tatsachen von großer Tragweite geschaffen werden. Die anstehende Sanierung mit all ihren Implikationen wäre der richtige Zeitpunkt für eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die kulturelle Rolle eines Theaters der Zukunft in der postmigrantischen Stadt der Vielfalt – unter Einschluss von städtebaulichen Gesichtspunkten und kulturellen Entwicklungsmaßnahmen! Man plant jetzt einen neuen alten „Tanker“ – teuer, wenig mobil, hochgerüstet, privilegiert, raumgreifend, stadtbildbestimmend, nur bedingt innovationstauglich – wo doch mehrere gut ausgestattete, bewegliche, für Überraschungen gute, kleine Schiffe viel tauglicher wären.
Denn man übersieht – ob wissentlich oder unwissentlich – in den bisherigen kulturpolitischen Einlassungen, dass das Theater Augsburg nicht der kulturelle Nabel der Stadtgesellschaft ist, auch nicht der Think-Tank der Kultur, sondern vielmehr ein (nicht unwichtiger) Anbieter und Impulsgeber im Konzert der kulturellen Vielfalt. Eine große, finanziell gut ausgestattete kulturelle Einrichtung, die auf Zukunftsthemen der Stadtgesellschaft wie Festivallandschaft, Kulturelle Bildung, Partizipation, Inklusion und Kulturelle Öffnung, Kunst im öffentlichen Raum inzwischen zwar reagiert, aber als Motor für Veränderungen strukturell nur sehr bedingt funktioniert.
Alle Veränderungen der städtischen Kulturlandschaft sind ohne Impulse des Theaters entstanden
Wer zurück blickt auf die letzten 20 Jahre Stadtentwicklung, wird feststellen müssen, dass alle entscheidenden Veränderungen in der städtischen Kulturlandschaft ohne Impulse aus der kulturellen Vorzeigeinstitution Theater entstanden. Ob Bewerbung zur Kulturhauptstadt, Entwicklung des Konzepts für ein Neues Friedensfest, Auftakt für ein Neues Brechtfestival, Interkulturelle Akademie, Medienkunstfestival LAB30, Kreativplattform KS:AUG, Grenzenlos Festival, Kulturhaus Abraxas, Modularfestival, Kulturpark West, Grandhotel, Ballonfabrik, Neue Galerieszene in temporären Leerstandsnutzungen, alle diese die Augsburger Kulturlandschaft aufwertenden und interessant machenden Initiativen sind am Theater vorbei entstanden, hantieren mit sehr viel weniger personellen und finanziellen Ressourcen und werden bei der angestrebten „großen“ Sanierungslösung Probleme bekommen.
Denn die finanzielle, marketingtechnische und politische Verfestigung einer „Kulturzentrale“ im Herz der Stadt wird für lange Zeit das Verhältnis von traditioneller Hochkultur, postmoderner Eventkultur, Popkultur, Szenekultur und Kultureller Bildung festschreiben, auf Dauer zahlreiche dezentrale, partizipative Ressourcen wie ein Magnet an sich ziehen (müssen) und so andere, neue, überraschende Entwicklungen eher hemmen.
Eine notwendige, offene Diskussion des Themas sollte also sowohl bauliche Alternativen mit stadtentwicklerischem Hintergund in Betracht ziehen, als auch veränderte Formen von Theater reflektieren. Denn ein Theater der Zukunft ist kein „Guckkasten-Theater“, kein museales Theater und kein Theater, das an den klassischen Spartengrenzen Halt macht. Es muss raus zu seinem (neuen) Publikum, muss Mauern einreißen, die Stadt bespielen, Stellung nehmen zu sozialen und politischen Prozessen, neue soziale Milieus entdecken. Und benötigt deshalb Räume, die solches Theatermachen und Theaterspielen ermöglichen. Muss ein Theater sein, das Schauspiel, Tanz, Musik und Klang als integrative Elemente seiner Arbeit versteht und auch durch die räumliche Architektur deutlich macht.
Man muss prüfen, ob ein Neubau mit einem integrativen Schauspielhauses die Aufgaben der Zukunft nicht besser erfüllt
Deshalb sollte auch diskutiert werden können, ob nicht der Neubau eines integrativen Schauspielhauses – theatral, konzertant, tanztauglich, begegnungsfähig – mit ca. 500 Plätzen, multifunktional, mit Probenbühnen und Werkstätten die Aufgaben der Zukunft nicht viel besser erfüllen könnte. Und ob dazu nicht andere, dezentrale Standorte im Textilviertel, auf dem Gaswerkareal oder im Reesepark nicht die bessere Wahl wären. Gleichzeitig gäbe es ja die Option für den Erhalt und die Sanierung des denkmalgeschützten Teils des Hauses am Kennedyplatz als repräsentatives „Haus der Kulturen“ am Ende des „Fugger-Boulevards“ mit Begegnungs- und Kreativcharakter, Gastronomie, Literaturhaus, Konzertklub, Kulturverwaltung als Servicestelle. Überlegenswert ist auch der Erhalt der „Brechtbühne“ als Bürgerbühne, Schultheaterraum und Theaterwerkstatt der freien Szene – das muss man zumindest denken und öffentlich artikulieren dürfen. Nicht zuletzt auch die Überlegung, mit dem Abriss des nicht unter Denkmalschutz stehenden Bereichs des Großen Hauses (ab Bühnenturm) und des Verwaltungsgebäudes Platz zu schaffen für städtebauliche Quartiersentwicklung mit Verkauf von Flächen zur Gegenfinanzierung eines Neubaus. Deutschlandweit könnte Augsburg mit deutlich weniger Geld als den 235 Mio ein Zeichen setzen für ein Theater der Zukunft. Und die „unbehauste Zeit“ nutzen zum Ausprobieren neuer Formen und Inhalte, die dann auch in der neuen Haut weiterleben und nicht wieder in einem „Kunsttempel“ archiviert werden. Deshalb die Forderung nach einem Moratorium, um solche und andere Vorschläge und Alternativen auf ihre Umsetzung hin zu prüfen, zu ergänzen, zu verwerfen, neu zu erfinden – einen echten Diskurs eben zu führen.