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Donnerstag, 18.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar zur Kahnfahrt: Nicht erst handeln, wenn die Feuerwehr kommt

Der Niedergang des Augsburger Stadtmarkts, der Sanierungsstau beim Perlach und bei der Stadtmauer zeugen von einer städtebaulichen Krise, die an der Substanz einer ohnehin nur zart besaiteten städtischen Identität nagt. Die Stadt Augsburg unternimmt viel zu wenig, um die architektonischen Herzstücke städtebaulicher Identität zu schützen, zu pflegen und herauszustellen. Das ist eine Katastrophe, die zu einer fatalistischen Stimmung bezüglich der eigenen Stadt führt. Die Debatte um die Kahnfahrt hat damit viel zu tun, wenn auch in einem ganz anderen Zusammenhang.

Kommentar von Siegfried Zagler

Bildquelle: Gustave Caillebotte – Ruderer mit Zylinder

Die Augsburger Kahnfahrt ist ein Ort, der die Stadt und ihre unbeschreibliche Eigentümlichkeit, ihr Wesen dergestalt intensiv reflektiert, sodass es schwer fällt, ihn länger als eine Stunde zu ertragen. Das mag auch an den Ruderkähnen liegen, die wie ein Versprechen am Ufer vor der Kneipe liegen. Ein Boot, das sich aus dem Blickwinkel des Betrachters entfernt, erzeugt die Illusion, dass es die uns bekannte Welt verlässt. Um an das andere Ufer zu kommen, braucht man ein Boot.

Möchte man der Augsburger Kahnfahrt gerecht werden, dann sind es die Ruhe und die Natur mitten in der Stadt im Zusammenwirken mit den Booten am Ufer, die ihren Zauber ausmacht, sind die Attraktionen die riesenhaften Karpfen, die dort ihre Runden im dunklen Wasser drehen oder die vorwitzigen Entenfamilien, die dort wegen der Hechte und Wiesel gefährlicher leben als am wilden Lech. Die Gastronomie der Kahnfahrt ist es nicht, worum es den Besuchern geht. Obwohl die Kahnfahrt seit zirka 140 Jahren als Familienbetrieb geführt ist, war die Gastronomie über viele Jahrzehnte hinweg niederschwellig und ambitionslos organisiert. Bela Balogh, der aktuelle Pächter in vierter Generation, hat dieses Manko etwas verbessert, doch für die meisten Besucher der Kahnfahrt spielt das gastronomische Angebot ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Schwer zu nehmen sind dagegen die Öffnungszeiten, da das Lokal in der kalten Jahreszeit überwiegend geschlossen ist.

Dass nun der Schwarzbau abgerissen wird, sollte man als städtebaulichen Fortschritt begreifen. Mit den Blumentöpfen und den nicht weniger hässlichen Sonnenschirmen verstellt dieser Anbau den Blick auf die historische Stadtmauer. Nach Sonnenuntergang schleichen Nagetiere durch den Betrieb der Außengastronomie. Bei der Kahnfahrt ließe sich vieles verbessern, doch ist es nicht gerade der selbstgemachte Verhau, der diesen Ort so speziell, so extrem “augschburgerisch” macht?

Die Pächter haben im Schatten der Stadtmauer und des Brandschutzes mit geringer Pacht und viel Eigenleistung von diesem Ort profitiert und sie haben diesen Ort mit ihren Leben gelebt und ihn geprägt: Keine Hippsterei, kein Latte-Macchiato-Publikum, keine Systemgastronomie. Dafür nimmt man gerne auch mal weniger Qualität in Kauf.

Der Denkmalschutz ist bei der Kahnfahrt nun gefordert und die Stadt sollte sich, wie bei Sportkind, mit den Eigentümlichkeiten des Pächters arrangieren. Die Stadt sollte auch daran arbeiten, den Pulverturm (städtische Liegenschaft nebenan) und den dazu gehörigen Park wieder ihren Bürgern zurückzugeben und die Stadtmauer dort schnellstmöglich sanieren. Zu tun wäre viel am Gänsbühl – ein Quartier wie im Bilderbuch. Höchste Zeit, dass die lokale Politik das in die Agenda des Handelns aufnimmt und nicht erst reagiert, wenn die Feuerwehr kommt.