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Donnerstag, 03.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Seniorenheim Ebnerstraße: Warum hat Erben nicht Alarm geschlagen? – Was hat ihn daran gehindert Anzeige zu erstatten?

Stadtrat Peter Hummel (FW) ist von Beruf Journalist und war ehrenamtlich sehr lange im Rettungsdienst tätig. Als er im vergangenen Stadtrat eine Rede zur Causa Ebnerstraße hielt, konnte niemand wissen, dass Hummel nicht nur der erste, sondern auch der letzte Redner war, der nach dem Sachstandsbericht des Augsburger Gesundheitsreferenten länger als drei Minuten sprechen durfte. Danach wurde die Redezeit via Geschäftsordnungsantrag der CSU auf drei Minuten beschränkt.

“Es ist bezeichnend, dass jeder Tierbesitzer in Augsburg, dass jede Dönerbude bei Missständen mit stärkeren Sanktionen und auch mit der Veröffentlichung der Missstände zu rechnet hat, als ein Pflegeheim mit oft hilflosen Menschen”, so Peter Hummel in seinem Redebeitrag, den er für die DAZ stärker zugespitzt hat. Wie auch die Stadträte Bruno Marcon und Jutta Fiener geißelt Hummel in der DAZ die Vorkommnisse als Systemfehler, den der Augsburger Gesundheitsreferent zu lange zugelassen hat.

Gastbeitrag von Peter Hummel

hummel

Peter Hummel

In 25 Jahren ehrenamtlicher Tätigkeit im Rettungsdienst bekommt man Einblick in viele Alten- und Pflegeheime. Und man bekommt auch Einblick dahingehend, wozu Profitgier gerade im Bereich der Pflege führt. 

Es ist ein Skandal des monatelangen Versagens – beim Betreiber des Seniorenheims Ebnerstaße, aber auch beim Augsburger Konzept der Heim-Aufsicht. Und wenn es kein explizites Augsburger Konzept der Heim-Aufsicht gibt, sondern nur eines, das für alle gilt, hatten dann die Bewohnerinnen und Bewohner in der Augsburger Ebnerstraße einfach nur Pech? Pech, den falschen Anbieter gewählt zu haben. Pech, dass grobe Pflege- und Hygienefehler als Flüchtigkeiten abgetan und für deren Behebung wochen- und monatelange Zeitfenster eröffnet wurden?

Hier sind Fehler passiert, die durch ein System des Wegsehens, des Zauderns, der falschen Rücksicht begünstigt wurden. Es ist doch bezeichnend, dass jeder Tierbesitzer in Augsburg, dass jede Dönerbude bei Missständen mit stärkeren Sanktionen und auch mit der Veröffentlichung der Missstände zu rechnet hat, als ein Pflegeheim mit oft hilflosen Menschen. 

Billig-Pflege ist grundsätzlich ein Systemfehler

Hier wurde Rücksicht genommen auf eine Branche und einen Betreiber, der eine ausgeprägte, menschenunwürdige Hauptsache-Billig-Philosophie an den Tag gelegt hat. Gute Pflege zum Discount-Preis funktioniert nicht und kann auch nicht funktionieren. Und wenn der Augsburger Gesundheitsreferent Reiner Erben davon spricht, dass erst ein Systemfehler passieren muss, ehe man als Aufsichtsbehörde reagieren kann, dann möchte man ihm geradezu entgegen rufen: “Billig-Pflege ist grundsätzlich ein Systemfehler!”

Mag sein, dass die Kontrollschritte im Pflege- und Wohnqualitätsgesetzt „verfeinert werden müssen“, wie es Erben ausdrückt. Nur: Was hat ihn um alles in der Welt daran gehindert, zumindest Alarm zu schlagen, als die massiven Mängel im vergangenen Jahr bekannt und dokumentiert wurden? Was hat ihn bitte sehr daran gehindert, Anzeige gegen die Betreiber zu erstatten, wenn zu erkennen war, dass Menschen in der Ebnerstraße körperliche Schäden erleiden? 

Die Angst der Kontrollorgane …

Was hier passiert ist, hat mit der Angst der Kontrollorgane zu tun, selber angreifbar zu werden. Aber auch mit Angehörigen, die ihre Oma und ihren Opa in ein Billig-Pflegeheim geben – und genau wissen, was sie da tun. Ganz nebenbei: Sich dann vor die Kameras zu stellen und die schlechte Pflege in einer Dumpingpreis-Unterkunft zu beklagen, ist hämisch. In einem Restaurant, in dem das Schnitzel fünf Euro kostet, weiß ich doch auch, dass da was nicht stimmen kann. Für diese Erkenntnis brauche ich keine Heimaufsicht.

Ja, Kontrollen sind wichtig und sie sind eine konstruktive Hilfe dabei, einen gewissen Pflege-Standard zu sichern. Aber man muss ebenso wissen, dass die Kontrollen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in vielen seriösen Alten-Einrichtungen leider auch als Bedrohung empfunden werden. Angst ist ein wichtiger Faktor, wenn wir von einer fehlenden Attraktivität der Pflege sprechen. Deshalb auch die Flucht vieler Altenpflegerinnen und Altenpfleger in die Krankenhäuser, wo weniger kontrolliert wird und wo man vieles auf die Ärzte am anderen Ende des Ganges schieben kann. 

Deshalb: Wir brauchen nicht mehr Kontrollen, sondern wir brauchen effektivere Kontrollen. Kontrollen, die nicht die Guten bestraft, sondern die Unseriösen identifizieren. Wir brauchen Kontrollen, deren Ergebnisse zeitnah zu Verbesserungen führen – und nicht bis zur nächsten Kontrolle nur dokumentiert werden. Und wenn etwas nicht in Ordnung ist, muss das den Betreibern weh tun. Mit Verlaub, 300 Euro tun einem internationalen Pflege-Konzern nicht weh. Wir brauchen Kontrollen, die dafür sorgen, dass ein Träger wie in der Ebnerstraße mit dem Medizinischen Dienst überhaupt keinen Versorgungsvertrag eingehen darf. 

Vor allem aber brauchen wir eine Wertschätzung menschlicher Pflege – in unserer Gesellschaft, bei den Anbietern, aber auch in unseren Familien. Wir brauchen – auch und gerade bei der Kontrolle – ein geschärftes Bewusstsein dafür, dass Pflege-Schnäppchen immer mit einem Pflege-Minus verbunden sind.

Was ist uns ein würdevolles Altwerden wert?

Insofern taugt der Fall Ebnerstraße Augsburg nicht dazu, sich plötzlich medienwirksam für die Belange der Bewohnerinnen und Bewohner zu inszenieren. Er taugt auch nicht für pauschale Angriffe, sondern ist vielmehr eine Mahnung an uns selbst: Was ist uns ein würdevolles Altwerden wert? Wer jetzt – hinterher! – beim Fall Ebnerstraße empört ist, obwohl alle in der Branche wussten, dass dieses Billig-Konzept überhaupt nicht funktionieren kann, ist wahrscheinlich auch naiv genug, in einem 2-Sterne-Hotel nach dem Wellness-Bereich zu fragen. 

Wenn wir aus diesem Skandal, der nicht durch zu wenig Kontrolle, sondern durch eine Ignoranz von Kontroll-Ergebnissen in Verbindung mit einem menschenunwürdigen Geschäftsmodell erzeugt wurde, etwas lernen wollen, nein: lernen müssen, dann dies: Discounter-Pflege muss engmaschig kontrolliert und negative Erkenntnisse müssen beweisbar benannt, sanktioniert und öffentlich zugänglich gemacht werden. So wie das bei jedem schmuddeligen Restaurant auch der Fall ist. Denn bei allem Verständnis für die wirtschaftlichen Interessen von Pflegekonzernen: Geiz ist nicht geil, sondern Geiz ist lebensbedrohlich. 

Wenn dieser Skandal nun eine Debatte ausgelöst hat, ein sensibleres Hinschauen, ein Bewusstsein dafür, fadenscheinige Pflege-Betreiber zu identifizieren, gegebenenfalls unmittelbar zu sanktionieren und die Bewohnerinnen und Bewohner effektiv zu schützen, dann ist schon viel gewonnen. 

 



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