Meinung
Kommentar: Bitte kein Stadtmarketing in Zeiten des Krieges!
Die Hilfsbereitschaft sei „enorm“, „riesengroß“ und „überwältigend“. Mit diesen Worten beschreiben Tageszeitungen das humanitäre Engagement von Bürgerinnen und Bürgern. Nicht etwa nur in Augsburg, sondern auch in München, Bamberg oder dem sächsischen Freital.
Kommentar von Bernhard Schiller
Kaum eine deutsche Kommune, in der derzeit nicht solche Überschriften entstehen. Offensichtlich muss eine Stadt keine „Friedensstadt“ sein, damit aus ihrer Mitte das Beste kommt – und sie muss auch keine Stadt sein. Das Bedürfnis zu helfen, kommt – zum Glück – aus den Herzen der Menschen und nicht aus Verwaltungshandeln und nicht aus einem Label. Bio-Produkte werden ja auch nicht biologisch durch das Etikett auf der Verpackung, sondern durch den Inhalt, der den Aufkleber erst rechtfertigt.
Insofern sollte das Etikett „Friedensstadt“ – so man überhaupt Wert darauf legt – immer eines sein, das es erst zu erwerben gilt, ein Ziel. Nichts, worauf man bereits stolz sein könnte. Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber sprach im Augsburger Rathaus in Bezug auf die von der Stadtverwaltung gesteuerten Solidaritäts- und Hilfsaktionen auch davon, dass die Stadt „ihrer Rolle als Friedensstadt immer gerecht geworden sei“.
Das wirft Fragen auf. Was ist eine Friedensstadt? Welche Rolle spielt sie? Und wann wurde sie dieser gerecht? Die „Friedensstadt Augsburg“ ist eine Legende, die mit der historischen Realität wenig gemeinsam hat. Augsburg war weder im 30-jährigen Krieg Friedensstadt, noch während der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert. Um nur die markantesten Daten zu nennen. Von Augsburg gingen in der Vergangenheit keine wesentlichen Impulse für den Frieden aus. Seit einer Woche packen Augsburgerinnen und Augsburger Pakete, sammeln Medikamente, Babynahrung und Geld. Was die Menschen in Augsburg heute für ihre Mitmenschen tun, verdient Anerkennung. Aber es ist nicht außergewöhnlich. Um es anzuspitzen: Sie tun es, obwohl Augsburg „Friedensstadt“ ist.
Kaum hatte der Krieg begonnen, flaggte die Stadt Augsburg auf dem Rathausplatz auf. Drei Flaggen für die Friedensstadt, eine für die Ukraine. Auf dem Gebäude der Stadtverwaltung prangt nun wieder ein 90-Quadratmeter-Banner, diesmal mit dem Aufdruck „Friedensstadt Augsburg“. Die Homepage der Stadt Augsburg begrüßt mit „Friedensstadt Augsburg“ in blau-gelb.
Das ist sicher alles gut gemeint. Möglicherweise denkt man sich auf Seiten der Stadtverwaltung, dass über die Identitätsschiene mehr Bürgerinnen und Bürger angesprochen und motiviert werden können. Möglicherweise denkt man auch, dass sich die hier lebenden Menschen aus der Ukraine dadurch inkludierter fühlen. Die Beispiele aus zahllosen anderen Kommunen in Deutschland zeigen jedoch, dass derartiger erzieherischer Etikettenschwindel dafür überhaupt nicht erforderlich ist.
Eine „Rolle als Friedensstadt“ spielen gerade kleine und große Dorf- und Stadtgesellschaften überall in Europa. Keine dieser Einheiten ist dabei auf Selbstbezüglichkeit angewiesen. Augsburg, das gerne „Friedensstadt“ sein möchte, muss hier seine Rolle erst finden. Diese Aufgabe ist aber absolut nachrangig. Jetzt gilt es, das Notwendige zu tun und es ist gut, wenn die Augsburger sowie ihre ukrainischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auf eine Stadtverwaltung vertrauen können, die auch ohne künstliches Alleinstellungsmerkmal funktioniert.