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Freitag, 22.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Meinung

Kommentar zum Klimacamp: Wessen Erzählung zählt?

Warum die Erzählung der Klimaaktivisten glaubhaft ist

Kommentar von Siegfried Zagler

Das Augsburger Klimacamp ist eine Erfindung von engagierten vornehmlich jungen Leuten, die aus der Mitte der Stadtgesellschaft kommen und mit ihrer Beharrlichkeit und ihrer verwegenen Protestform in Sachen Klimapolitik bereits viel erreicht haben. Ohne dieses „Camp“ als Stachel im Fleisch der Grünen und der CSU wäre die Stadt Augsburg um eine der ganz großen Varianten des bürgerlichen Engagements ärmer.

Die Augsburger Grünen haben das begriffen, werden als kleiner Koalitionspartner durch das Klimacamp auf Ultra-Grün gestellt und aufgewertet. Die CSU reibt sich daran und erträgt die Situation nur, weil sie darauf hofft, dass der VGH in München diese Protestform nicht von der Verfassung gedeckt sieht. Das Verwaltungsgericht Augsburg kassierte den Räumungsbeschluss der Stadt, wogegen diese in München Widerspruch einlegte.

Claudia Roth und Reiner Erben haben in ihrer Jugend „zivilen Ungehorsam“ zur Bürgerpflicht erhoben, als es gegen die Atomwirtschaft und die atomare Aufrüstung ging, war „Recht und Ordnung“ für die Grüne Jugend angesichts der bedrohlichen Lage eher etwas Unverbindliches.

„Macht kaputt, was euch kaputt macht“, sang Rio Reiser von der Band „Ton, Steine, Scherben“, die von Claudia Roth einige Jahre gemanagt wurde. Mit der Anti-Atom-Bewegung und dem Widerstand gegen den atomaren Overkill und mit einem neuen Politikstil gegen die verkrustete Parteienlandschaft der BRD sind die Grünen groß geworden. Aus der Protestpartei mit fünf bis acht Prozent Wählerpotential hat sich eine gewaltige politische Kraft entwickelt, was auch damit zu tun hat, dass sich die Revolutions- und Gewaltfantasien der 68er-Generation Anfang der Achtziger bereits in Auflösung befanden. Der Marsch durch die Institutionen verlief gewaltfrei. Und als generationsübergreifende vorläufige Zielankunft dieses Marsches darf man das Augsburger Klimacamp betrachten: Es handelt sich um eine außerordentliche Zumutung im besten Sinn.

Doch im Gegensatz zu Roth, Erben und Co. betreiben die Macher des Klimacamps keinen illegalen Widerstand, sondern bewegen sich bis jetzt mit ihrer Dauerdemonstration innerhalb des Grundgesetzes und der Bayerischen Gemeindeordnung. Es handelt sich um einen bürgerlichen Protest, wie man sich ihn friedlicher und wirkungsvoller kaum vorstellen kann. Die Akteure wissen, was sie tun und was sie tun dürfen. Sie sind von ihrer Mission überzeugt, ohne dabei in dogmatischen Fanatismus zu verfallen. Und sie legen großen Wert darauf, dass Gesetze und Infektionsschutz-Verordnungen eingehalten werden. Das Klimacamp hat eine akademische Note, was man vom Ordnungsdienst der Stadt nicht behaupten kann.

Daraus lässt sich die Vorstellung ableiten, dass das Statement der Klimaaktivisten bezüglich des städtischen Ordnungsdienstes zutreffend ist. Falls es also wahr sein sollte, dass der städtische Ordnungsdienst gegenüber den Aktivisten das Klimacamp für beendet erklärt haben soll, weil sich die Versammlungsleiterin auf der Toilette befand, dann sollte die Stadt ihren Ordnungsdienst besser ausbilden.

Das schnelle Statement von Ordnungsreferent Frank Pintsch war notwendig und es war richtig, den Sachverhalt als Missverständnis darzustellen. Festzuhalten ist aber auch, dass Pintsch zwar die Mitarbeiter der Stadt in Schutz nimmt, aber ohne ihre vermeintliche Behauptung explizit zu dementieren. Frank Pintsch spricht nicht von einer „falschen Tatsachenbehauptung“, sondern verwendet die semantisch unklare Begrifflichkeit der „Fehlbehauptung“ seitens der Aktivisten und geht in einen strategischen Angriffsmodus bezüglich mutmaßlicher Corona-Abstandsverletzungen über.

Mit „Fehlbehauptung“ kann man mit Müh und Not beim Scrabble punkten. Ein überzeugendes Dementi sieht anders aus. Zurück bleibt das Gefühl der Blamage, die sich möglicherweise im Februar 2022 zu einer politischen Peinlichkeit erster Kategorie potenzieren könnte. Dann entscheidet nämlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, ob die Räumungsambition der Stadt vor dem Verfassungsgrundsatz des Versammlungsrechts standhält. Falls das der Fall sein sollte, darf Ordnungsreferent Frank Pintsch durchatmen, falls nicht, gehen er und besonders Oberbürgermeisterin Eva Weber beschädigt aus diesem Konflikt hervor.