68er Revolutionsspiel auf der Brechtbühne: Das Paradies ist auch keine Lösung
50 Jahre „danach“ zeigt die Stückentwicklung von Peer Ripberger auf der Brechtbühne Utopien für die Zukunft auf
Von Halrun Reinholz
Es gibt noch genügend Leute, die sich an 1968 gut erinnern. Die damals dabei waren. Die sich sofort einfinden konnten in die Atmosphäre auf der Brechtbühne: eine Gruppe schwarz gekleideter (etwas zu gestylt für 68er!) junger Leute, pausenlos rauchend am Diskutieren, noch bevor das Stück anfängt. Die „Bourgeoisie“ im Publikum wird einbezogen, spielt, das wird ihr bescheinigt, „richtig gutes Theater“ in der jeweiligen sozialen Rolle. Die hitzigen unstrukturierten Diskussionen werden immer wieder von skandierten Sprechchören unterbrochen. Die Schritte zur Revolution. Erstens: „Wir befinden uns in einem vorrevolutionären Zustand.“ Letzter Punkt: „Alle Macht der Phantasie“. Authentisch die ermüdenden Wiederholungen der immer gleichen Parolen. Wie damals. Auch jetzt noch aktuell? 50 Jahre danach gibt es andere Probleme, die gelöst werden müssen, deshalb versucht der Text Parallelen herzustellen für die heutige Welt. „Wohin mit dem ganzen Abfall?“, ist die immer wiederkehrende Quintessenz.
Grund für eine Revolution? Die Schauspieler nehmen das Publikum in revolutionärem Elan mit auf die Straße, das Megafon wird herumgereicht, „Ich habe einen Traum“ – jeder kann sich einbringen. Auch die Nachbarn, die erstaunt aus ihren Fenstern blicken. Das Publikum taut mehr oder weniger zögerlich auf und macht mit. Wir spielen Revolution, formulieren Träume und Utopien. „Alle Macht der Phantasie.“
Und wohin führt das – die Phantasie, die Träume? In die Utopien von einer besseren Zukunft, wie immer schon. Und eine davon wird nach der Pause entfaltet. Da ist die Brechtbühne dann kein rauchgeschwängerter Diskussionsort mehr, sondern ein duftender Dschungel mit Vogelgezwitscher. Diskutiert wird nicht mehr, die Darsteller auf der Bühne agieren stumm, den Text liefert „Gaia“, Mutter Erde sozusagen, vom Band (Natalie Hünig). Sie erklärt mit emotionsloser Stimme, wie die Menschen im Jahr 50 der neuen Zeitrechnung leben – konfliktfrei, ohne Existenzsorgen und ohne Zwänge, als technisch optimierte „Cyborgs“.
Arbeit wird nur noch als Hobby betrieben: Von den fünf Akteuren ist nur eine (Marlene Hoffmann) – offensichtlich freiwillig und mit Hingabe – damit beschäftigt zu säen, zu gießen und Gemüse zu ernten. Die anderen schneiden allenfalls genussvoll Gurken in Scheiben, sind aber hauptsächlich damit beschäftigt, in wechselnden Konstellationen zu lustwandeln, zu knutschen und der Wellness zu frönen. Gaia erklärt inzwischen monoton und ausführlich, dass der Mensch sich nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden muss, dass es durch optimale Aufklärung möglich ist, sich sein Leben mit Hilfe von Hormonen oder Drogen so zu gestalten, wie man es haben möchte. Die roboterhaften Bewegungen deuten es an: auch viele (bio-)technologische Prozesse sind Bestandteil des optimierten menschlichen Körpers geworden. Schöne neue Welt.
Zum Schluss landen alle fünf nackt in der Badewanne, die dekorativ mitten auf der Bühne steht. Obwohl kaum etwas so unerotisch ist wie diese paradiesische Nacktheit, verlassen am Premierenabend einige Zuschauer entrüstet den Saal. Vielleicht aber auch nur, weil der zweite Teil dann doch etwas langatmig und ereignislos daherkommt. Die Vision vom Paradies hätte man auch knackiger, vielleicht mit einer Prise Satire servieren können, zumindest kürzer. Aber dann hätte sich die Trägheit wohl nicht so eingeprägt. Erinnerungen an den Religionsunterricht werden wach: Schon damals die Ratlosigkeit darüber, was an dem Paradies so spannend sein soll? Was macht man da den ganzen Tag? Auch dieser Entwurf auf der Brechtbühne zeigt: Die Utopie vom Paradies ist nicht menschengerecht. Langweilig, diese Harmonie und Gleichförmigkeit. Sind das die Träume der Menschheit? Ja, aber nur, wenn der Mensch dafür entsprechend „optimiert“ wird.
Von Halrun Reinholz
Es gibt noch genügend Leute, die sich an 1968 gut erinnern. Die damals dabei waren. Die sich sofort einfinden konnten in die Atmosphäre auf der Brechtbühne: eine Gruppe schwarz gekleideter (etwas zu gestylt für 68er!) junger Leute, pausenlos rauchend am Diskutieren, noch bevor das Stück anfängt. Die „Bourgeoisie“ im Publikum wird einbezogen, spielt, das wird ihr bescheinigt, „richtig gutes Theater“ in der jeweiligen sozialen Rolle. Die hitzigen unstrukturierten Diskussionen werden immer wieder von skandierten Sprechchören unterbrochen. Die Schritte zur Revolution. Erstens: „Wir befinden uns in einem vorrevolutionären Zustand.“ Letzter Punkt: „Alle Macht der Phantasie“. Authentisch die ermüdenden Wiederholungen der immer gleichen Parolen. Wie damals. Auch jetzt noch aktuell? 50 Jahre danach gibt es andere Probleme, die gelöst werden müssen, deshalb versucht der Text Parallelen herzustellen für die heutige Welt. „Wohin mit dem ganzen Abfall?“, ist die immer wiederkehrende Quintessenz.
Grund für eine Revolution? Die Schauspieler nehmen das Publikum in revolutionärem Elan mit auf die Straße, das Megafon wird herumgereicht, „Ich habe einen Traum“ – jeder kann sich einbringen. Auch die Nachbarn, die erstaunt aus ihren Fenstern blicken. Das Publikum taut mehr oder weniger zögerlich auf und macht mit. Wir spielen Revolution, formulieren Träume und Utopien. „Alle Macht der Phantasie.“
Und wohin führt das – die Phantasie, die Träume? In die Utopien von einer besseren Zukunft, wie immer schon. Und eine davon wird nach der Pause entfaltet. Da ist die Brechtbühne dann kein rauchgeschwängerter Diskussionsort mehr, sondern ein duftender Dschungel mit Vogelgezwitscher. Diskutiert wird nicht mehr, die Darsteller auf der Bühne agieren stumm, den Text liefert „Gaia“, Mutter Erde sozusagen, vom Band (Natalie Hünig). Sie erklärt mit emotionsloser Stimme, wie die Menschen im Jahr 50 der neuen Zeitrechnung leben – konfliktfrei, ohne Existenzsorgen und ohne Zwänge, als technisch optimierte „Cyborgs“.
Arbeit wird nur noch als Hobby betrieben: Von den fünf Akteuren ist nur eine (Marlene Hoffmann) – offensichtlich freiwillig und mit Hingabe – damit beschäftigt zu säen, zu gießen und Gemüse zu ernten. Die anderen schneiden allenfalls genussvoll Gurken in Scheiben, sind aber hauptsächlich damit beschäftigt, in wechselnden Konstellationen zu lustwandeln, zu knutschen und der Wellness zu frönen. Gaia erklärt inzwischen monoton und ausführlich, dass der Mensch sich nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden muss, dass es durch optimale Aufklärung möglich ist, sich sein Leben mit Hilfe von Hormonen oder Drogen so zu gestalten, wie man es haben möchte. Die roboterhaften Bewegungen deuten es an: auch viele (bio-)technologische Prozesse sind Bestandteil des optimierten menschlichen Körpers geworden. Schöne neue Welt.
Zum Schluss landen alle fünf nackt in der Badewanne, die dekorativ mitten auf der Bühne steht. Obwohl kaum etwas so unerotisch ist wie diese paradiesische Nacktheit, verlassen am Premierenabend einige Zuschauer entrüstet den Saal. Vielleicht aber auch nur, weil der zweite Teil dann doch etwas langatmig und ereignislos daherkommt. Die Vision vom Paradies hätte man auch knackiger, vielleicht mit einer Prise Satire servieren können, zumindest kürzer. Aber dann hätte sich die Trägheit wohl nicht so eingeprägt. Erinnerungen an den Religionsunterricht werden wach: Schon damals die Ratlosigkeit darüber, was an dem Paradies so spannend sein soll? Was macht man da den ganzen Tag? Auch dieser Entwurf auf der Brechtbühne zeigt: Die Utopie vom Paradies ist nicht menschengerecht. Langweilig, diese Harmonie und Gleichförmigkeit. Sind das die Träume der Menschheit? Ja, aber nur, wenn der Mensch dafür entsprechend „optimiert“ wird.
Insofern ein schlüssiger Ansatz der Stückentwicklung von Peer Ripberger, die hier ihre Uraufführung hatte. Warum man so einen sperrigen Titel dafür gewählt hat („1968: Geschichte kann man schon machen, aber so wie jetzt ist`s halt scheiße“), erschließt sich allerdings nicht. Das Stück bietet zum Glück mehr Denkansätze, als der Titel befürchten lässt. Die krasse Gegenüberstellung von Revolution und Utopie stellt beides infrage und betrachtet die Dinge von einer vermeintlich realistischen Warte.
Damit ist die Dimension des Heute eingebracht, einer revolutionsfernen Zeit, wo man die Dinge passiv und aus der aufgeklärten Distanz betrachtet. Das Paradies ist trotz der traumhaften Ausstattung (Bühne und Kostüme: Raissa Kankelfitz) offenbar keine Lösung, allenfalls eine Plattform für einen weiteren (revolutionären?) Sündenfall. Also weiter auf die Suche machen nach der perfekten Welt.
Großer Applaus für die fünf Akteure Sebastian Baumgart, Marlene Hoffmann, Roman Pertl, Patrick Rupar und Katharina Rehn, die sich außerordentlich wandlungsfreudig zeigten auf dem Weg vom kiffenden, diskussionsfreudigen 68er zum esoterischen veganen Paradiesvogel.
Damit ist die Dimension des Heute eingebracht, einer revolutionsfernen Zeit, wo man die Dinge passiv und aus der aufgeklärten Distanz betrachtet. Das Paradies ist trotz der traumhaften Ausstattung (Bühne und Kostüme: Raissa Kankelfitz) offenbar keine Lösung, allenfalls eine Plattform für einen weiteren (revolutionären?) Sündenfall. Also weiter auf die Suche machen nach der perfekten Welt.
Großer Applaus für die fünf Akteure Sebastian Baumgart, Marlene Hoffmann, Roman Pertl, Patrick Rupar und Katharina Rehn, die sich außerordentlich wandlungsfreudig zeigten auf dem Weg vom kiffenden, diskussionsfreudigen 68er zum esoterischen veganen Paradiesvogel.