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Dienstag, 08.10.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

6:0 für Tristan und Isolde

Wagner-Oper: Sternstunde im Theater Augsburg

Von Bernd Wißner

Wagner und besonders sein Tristan sind nicht jedermanns Geschmack. Zurückgegebene Aboplätze waren jedoch gefüllt, denn Wagnerfreunde scheuen keine weiten Wege. Manch ein Abonnent allerdings kam mit bangem Herzen ins Theater: Der frühe Beginn um 17 Uhr machte klar, dass fünf Stunden schwere Kost drohten. Diese Angst war spätestens nach dem faszinierend intonierten Vorspiel und den ersten Minuten des Dramas verschwunden – von Anfang an gab es großes Theater auf hohem Niveau:

1:0 Das schlichte und doch eindrucksvolle (fast) Einheitsbühnenbild, das die Sänger stets zum Publikum führte, was wegen des wagnervergrößerten Orchestergrabens sehr gut war. Die Liebesszene des 2. Aktes findet auf einem steilen Hang statt. Die Zuschauer bangen wie bei einem Hochseilakt: diese Liebe ist gefährlich, der Absturz führt in die Katastrophe.

2:0 Die zeitlosen, fantasievollen Kostüme. Lediglich König Marke musste sich mit seiner Jetztzeit-Uniform im Angesicht der Liebenden wie ein Fremdkörper vorkommen.

3:0 Die Regie, die die Akteure in stetem Spannungsfeld zueinander stellte. Die Bewegungen nahmen mitunter choreographische, ja sogar eurythmische Formen an, Wege bildeten Formen.

4:0 Der Dirigent, der seine Truppe zu einer Staatsoper-reifen Leistung getrimmt hatte.

5:0 Die Protagonisten, die gesanglich und spielerisch voll überzeugten und mit ihrem Stimmmaterial klug über die Stunden der mörderischen Partien hauszuhalten wussten.

6:0 Wagners unvergleichliche Musik, die trotz Atonalität den Zuhörer immer wieder in tiefe Emotionen zog und Vorbild für die Filmmusik der heutigen Zeit ist.

Bravos schon nach dem ersten Akt

Und dann spielten auch die Wagnerianer noch eine Rolle, und die, die es nach diesem Abend vielleicht werden wollen – es kam, wie es kommen musste: Selbst die sonst eher zurückhaltenden Augsburger brachen schon nach dem ersten Akt in frenetischen Applaus und Bravorufe aus. Hier noch besonders für die Titelfiguren, die weltweit gefragten Stars Christiane Libor als durch und durch hervorragende Isolde und Gerhard Siegel in seinem gelungenen Debüt als Tristan. Doch schon nach der ersten Pause wurden auch Dirigent Dirk Kaftan und die Musiker mit Applaus und Bravos begrüßt. Diese Stimmung steigerte sich bis zum letzten Akkord – dann brach ein Applaus aus, wie ihn das Theater Augsburg selten erlebt haben dürfte. Ein zehnminütiges Feuerwerk mit tobendem Applaus, nicht enden wollenden Bravorufen und standing ovations. Bravos für Kerstin Descher und ihre große Partie, stimmlich und spielerisch, als Brangäne. Bravos für den dritten Gast, Guido Jentjens, als seriöser König Marke. Bravos für Stephen Owen als mitleidender Kurvenal, Bravos für die Regisseurin Rosamunde Gilmore und das Ausstattungsteam und nochmals Bravos für Dirk Kaftan mit seinen Symphonikern.

Was die Sänger geschafft haben, nämlich mit ihrer Stimme hauszuhalten, gelang den Bravorufern nicht – nach zehn Minuten waren sie heiser. Irgendwann ließ schließlich ein barmherziger Inspizient den Vorhang endgültig fallen. Und das war gut so. Erschöpft und euphorisch konnten sich Publikum und Protagonisten zurückziehen. Welch ein Abend! Bravo, Bravo, Bravo, Bravo!