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Dienstag, 16.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

“Am meisten los war in der Maximilianstraße”

Das Foto erinnert an das berühmte Delacroix-Gemälde “Die Freiheit führt das Volk”. In der Nacht vom 13./14. Juli ging das Volk aber nicht auf die Pariser Barrikaden, sondern „auf“ die Augsburger Maximilianstraße, um „friedlich zu feiern“ – und den Herkulesbrunnen zu stürmen.

Von Siegfried Zagler



“Übergriff auf den Herkulesbrunnen” (Bild: Florian Handl, Stadtzeitung)

Dass der Sturm auf den Herkulesbrunnen von der Versuchung angeregt wurde, den Göttern als Fußballweltmeister zumindest symbolisch auf Augenhöhe zu begegnen, ist eher unwahrscheinlich. Wäre dem so, wären Dirk Wurm und die Einsatzleitung der Polizei aus dem Schneider. Sich mit den Göttern auf Augenhöhe zu wähnen, gilt in den meisten der uns bekannten Kulturen als schwerer Sündenfall. Dafür waren und sind, so will es die Legende, seit Beginn der Menschheitsgeschichte ganz andere Instanzen als der Ordnungsreferent und die Polizei zuständig.

II

Die Vorgänge in der Nacht vom 13./14. Juli waren natürlich von profaner Natur und sind somit in einem politischen Kontext zu bewerten. Dass nach einer Woche nicht viel mehr als ein Irrlauf der Augsburger Allgemeinen zu vermelden ist, ist der eigentliche Kracher dieser Nacht, die in ihrem Echo auf dramatische Weise zutage förderte, dass sich nach der Kommunalwahl die bekannten Defizite in der politischen Reflexion eher verstärkt denn verflüchtigt haben. Eine imposante „Spontan-Party“ von zirka 20.000 Menschen in der Maximilianstraße als großartiges Ereignis zu feiern, und dabei zunächst nur die Kosten der Müllbeseitigung zu problematisieren, zeigt in erster Linie, dass „die Zeitung“ in Sachen „Sicherheit des öffentlichen Raums“ an einem großen blinden Fleck zu leiden scheint. Als schließlich bekannt wurde, dass der Herkulesbrunnen beschädigt wurde, ging es Chefredakteur Alfred Schmidt in einem Kommentar zuvorderst darum, wie man den Brunnen bei „künftigen Massenereignissen“ vor einigen „Hohlköpfen“ besser schützen könne. Zwei Tage vor diesem Kommentar bildete die Augsburger Allgemeine diese „Hohlköpfe“ auf dem Herkulesbrunnen noch großformatig als positives Ereignis mit einer positiven Kommentierung ab: „Was für eine Nacht: (…) Am meisten los war in der Maximilianstraße.“

III

Stadtrat Volker Schafitel (FW) hat sich bei seiner Kritik an der Veranstaltung auf die Beschädigung der Brunnenkunst und die Person des Ordnungsreferenten kapriziert und zusammen mit der Opposition, „der Zeitung“ und allen anderen Stadträten die wichtigste Frage vergessen: Wie sicher war die Party für diejenigen, die daran teilnahmen? Dass dieser Frage bisher nicht ernsthaft nachgegangen wurde, ist der wahre Skandal dieser Massenveranstaltung. Dass sowohl die Opposition als auch die Grünen nicht als Miesmacher dastehen wollen, wenn „die Zeitung“ einen juvenilen Massenaufmarsch als großartiges Event feiert, muss man als ernstes Problem der Stadt bezeichnen: „Das fröhliche und ausgelassene Treiben auf der Maximilianstraße war ein besonderes Erlebnis, an das man sich noch lange erinnern wird. (…) Sie feierten auf so friedliche Weise, dass kein verantwortlicher Vertreter der Ordnungsbehörden die großzügige Ausnahmeregelung hinterher hätte bedauern müssen“, so die Augsburger Allgemeine, die in dieser Angelegenheit nicht mehr ernst genommen werden sollte.

IV

Es handelt sich nicht um „Vandalen“ oder „Hohlköpfe“, die zu kriminalisieren sind, sondern um junge Menschen, die aus Übermut den Moment für ein verbotenes Ritual als gegeben betrachteten. Es geht bei diesem Ritual darum, historische Plätze als Orte der öffentlichen Enthemmung zu verwenden. Bei diesen Zusammenkünften geht es um nichts anderes als um die Inszenierung einer gespielten nationalen Zusammengehörigkeit. Dass man als tüchtig arbeitender „Normalo“ im Taumel einer Siegesfeier – geschützt von der Masse und geduldet von der Obrigkeit – in der Öffentlichkeit einmal so richtig die Sau rauslassen darf, ist das Attraktive und das Anziehende dieser Massenaufmärsche. Es handelt sich nämlich im Grunde um ein spießiges Ritual, das mit seiner Redundanz und seiner Berechenbarkeit leicht zu unterbinden wäre. Dass es dabei nicht gesittet zugeht, gehört zum Reglement dieses Rituals. 1990 wurden Verletzte gemeldet und 2010 färbte sich beim „fröhlichen Brunnenplansch“ das Wasser des Herkulesbrunnens rot, als sich einige „Hohlköpfe“ die Füße an den zahlreichen Scherben auf dem Brunnengrund aufschlitzten.

V

Nicht nur die Polizei, auch ein Ordnungsreferent ist gefordert, wenn es darum gehen soll, im Gefüge von Gesetz und Ordnung ein bisschen Spaß zulassen zu können, ohne dass dabei zu viele Scherben zu Bruch gehen. Die „Scherben“ beziehen sich aber nicht auf den bedauernswerten Umstand, dass ein kleiner Teil der Brunnenkunst zu Bruch ging, sondern darauf, dass dieser Ansturm absehbar war und es sich beim Sturm des Brunnes nicht um ein paar “Hohlköpfe“ handelte, sondern um ein ständig wiederkehrendes Ritual aufgekratzter Menschen, die man vor sich selbst hätte schützen müssen. Weder die Polizei noch der Ordnungsreferent zeigten an diesem Abend, dass sie der Aufgabenstellung gewachsen waren. Falls der Schreiber dieser Zeilen in den Augen der Verantwortlichen mit seiner Einschätzung daneben liegen sollte, sollten sie die folgenden Fragen als Fragen zur Aufklärung der Vorkommnisse betrachten.

VI

Waren genug Sicherheitskräfte im Einsatz? Falls nein: Warum nicht?

Ist es zutreffend, dass der Herkulesbrunnen zunächst von einem Dutzend Beamten bewacht wurde? Falls ja: Warum haben die Beamten ihren Platz vor dem Brunnen geräumt?

Ist es richtig, dass auf der Maximilianstraße verbotene „Bengalos“ abgebrannt wurden? Falls ja: Warum wurde das nicht unterbunden?

Ist es richtig, dass auf der gesamten Länge der Maxstraße keine „Wellenbrecher“ zur Wegeteilung aufgestellt wurden? Falls ja: Wie kann man die Unterlassung dieser Maßnahme erklären?

Lässt sich aus der Tatsache, dass nichts passiert ist, die Schlussfolgerung ableiten, dass es sich bei der vergangenen WM-Party auf der Maximilianstraße um ein Szenario mit einem niedrigen Sicherheitsrisiko handelte?

VII

Eine von der Stadt definierte Partyzone darf nicht aufgrund der Masse der Besucher zum rechtsfreien Raum werden. Falls die Ordnungskräfte der Stadt nicht in der Lage sind, diesen Grundsatz zu garantieren, muss die politische Stadt in Sachen Partyzone einen Paradigmenwechsel vollziehen und auf eine konservative Strategie bauen.