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Donnerstag, 28.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Bundesliga: Die Zeit der Guru-Trainer ist abgelaufen

Trainerentlassungen sind im Profifußball ungefähr so gewöhnlich wie die Erkenntnis, dass sich die Bewohner der Erde nur mit großem Aufwand der Schwerkraft entziehen können. Dass aber während der zurückliegenden Saison acht Klubs ihre Trainer wechseln und drei Klubs kurz nach der Saisonbilanz ihren Trainern den Laufpass geben, ist ein Spitzenwert der besonderen Art. Ein Sachverhalt also, der eine genauere Betrachtungsweise verdient.

Von Siegfried Zagler

Von den „unteren“ 11 Vereinen haben 10 ihre Trainer gefeuert. Die Frankfurter Eintracht ist der einzige Verein (von Tabellenplatz 8 bis 18), der seinem Trainer in dieser Saison nicht den Laufpass gab. Das hat wohl damit zu tun, dass Nico Kovac erstens mit Eintracht Frankfurt (im Gegensatz zu den anderen) nie ernsthaft in Abstiegsgefahr schwebte und zweitens könnte es daran liegen, dass die Frankfurter bezüglich ihrer sportlichen Erwartungen mit großer Bescheidenheit in die Saison gingen. Bescheidenheit ist im Spitzenfußball allerdings keine Handlungsmaxime. Die Verteilung und die Höhe der Fernsehgelder setzen die Verantwortlichen immer stärker unter Druck, da ein Abstieg in die Zweite Liga sofort Einnahmeverluste in zweistelligen Millionenbeträgen garantieren würde. Verluste, die abenteuerliche Investitionen erfordern, will man den sofortigen Wiederaufstieg zum ultimativen Ziel erklären. Die Zunahme der Trainerentlassungen ist also mit der Zunahme des Erfolgsdrucks zu verbinden. Das muss nichts Schlechtes sein.

In der vergangenen Saison wurden von 11 Bundesligaklubs 12 Trainer entlassen. Die Interimstrainer nicht mitgerechnet. Zehn dieser Klubs waren abstiegsgefährdet. Von den ersten sieben Mannschaften der Tabelle feuerte nur Dortmund den Trainer.

Als Trainerwechsel vom überwiegenden Teil der Fachpresse noch generell mit moralischen Wertungen kommentiert wurden, standen die Bundesliga und der deutsche Fußball im Allgemeinen taktisch und technisch nicht hoch im Kurs. Das hat sich dramatisch zum Positiven hin verändert. Diese Entwicklung ist auf eine neue Durchlässigkeit der Vereine zurückzuführen. Immer mehr Klubs öffnen sich für unverbrauchte und kreative Trainerfiguren. Das Trainerkarussell dreht sich von Saison zu Saison schneller, weshalb es für diejenigen, die ihren Platz verlieren, immer schwieriger wird, ein anderes Engagement im gleichen Karussell zu finden.

Die Bundesliga lebt unter anderem durch den Verschleiß ihrer Trainer – und somit vom dauerhaften Input qualifizierterer Trainergenerationen, deren Talente sich breiter fächern, weil sie eben nicht eine lange Spielerkarriere in den Trainerberuf hinein verlängern. Wo stünde der deutsche Fußball heute, würde Winfried Schäfer noch in Karlsruhe die Linie auf und ab laufen? Würde Felix Magath stilgebend noch mit Medizinbällen die Bayern trainieren, Berti Vogts und Jürgen Klinsmann durch die Klubs geistern oder Hub Stevens weiter den ewigen Feuerwehrmann geben und Franz Beckenbauer mit abgedroschenen Kabinenweisheiten den Fußballphilosophen spielen? Von Hennes Weisweiler über Udo Lattek hin zu Pep Guardiola und Thomas Tuchel: Die Zeit der Guru-Trainer, die von Klub zu Klub rotieren, ist abgelaufen. Und das ist zu begrüßen.

Die Bundesliga lebt vom innovativen Potential ihrer Trainer und lebt von der speziellen DNA ihrer Vereine. Eine DNA, die sich aus der Geschichte der Klubs im Binnenverhältnis zu seinen Fans zusammensetzt. Ein schwer zu verstehendes Gemenge, das von den jeweiligen Trainern mit Struktur und Sprache versehen werden soll. Funktioniert letzteres nicht oder nur mangelhaft, scheitern Trainer gewöhnlich schnell – trotz sportlicher Erfolge, wie Tuchel in Dortmund und Schuster in Augsburg belegen.

Ein guter Trainer sollte sogar in der Lage sein, mit seinem Werk Struktur und Ausrichtung eines Klubs zu verändern. „Perfekte Trainer“ erhalten dieses Prädikat, wenn es ihnen gelingt, die Kultur ihres Klubs zu leben, wenn es ihnen gelingt, eine Symbiose mit der Tradition und dem Geist des Klubs einzugehen.

Ein Verein lebt durch die Emotionen und die Treue seiner Fans, die einen Klub mit Identität aufladen. Ein gut geführter Verein sollte nicht so sehr von der Tagesform seiner ersten Mannschaft abhängig sein. Das kurzfristige Auf und Ab in der Tabelle wird von vielen Faktoren beeinflusst – nicht nur von der Chemie zwischen Trainer und Mannschaft.

So geben Trainerentlassungen Zeugnis davon ab, wie chaotisch und kurzatmig einige Vereine der Bundesliga geführt werden. Trainerentlassungen bezeugen oft Kompetenzmangel und damit zusammenhängend verfehlte Ambitionen eines Managements. Und sie erzählen auch viel von den stereotypen Handlungsmustern der Branche, die sich glücklicherweise langsam verflüchtigen. Leipzig und Hoffenheim zeigen die Richtung an. Die deutsche Bundesliga boomt sportlich wie finanziell, obwohl mit Bayern München in den vergangenen fünf Jahren die wichtigste aller Fragen zu einer Witzfrage verkommen ist. Die Bundesliga lebt von offenen Fragen, und dazu gehört auch die Frage, ob ein neuer Trainer besser zum Klub passt als der alte.

In Ingolstadt und Darmstadt hat man nicht nur die falschen Trainer geholt, man hat sie auch zu spät gefeuert. In Bremen zeigte man mit Victor Skripnik zu lange Geduld und war später mit Alexander Nouri lange noch genug ratlos, um diese Ratlosigkeit als „Geduld“ zu verkaufen. In Hamburg hatte man sich rechtzeitig von Labbadia getrennt, in Wolfsburg zu früh von Hecking. Was Ismael und Jonker erreichten, hätte Dieter Hecking sehr wahrscheinlich locker erreicht.

Dass man sich in Mainz von Martin Schmidt trennte, war am Ende kaum noch überraschend: Zu viele Unstimmigkeiten innerhalb der Mannschaft und ein spielerischer Niedergang einer Mannschaft, die durchgängig stark auf allen Positionen doppelt besetzt ist, kosteten Schmidt den Job. In Mainz hat man sportliche Erwartungen gesetzt, die weit verfehlt wurden. Das Gleiche gilt für die Fohlen. Borussia Mönchengladbach ließ sich, nachdem Lucien Favre in der Vorsaison hinschmiss, lange Zeit, um André Schubert zum Cheftrainer zu installieren und ließ sich wiederum zu lange Zeit, um eine in allen Mannschaftsteilen verunsicherte Mannschaft wieder von Schubert zu befreien.

Über Bayer Leverkusen sollte man kein Wort verlieren. Der Werkklub besitzt viel Geld aber kaum Struktur und Ausrichtung – und leidet am gleichen Problem wie Wolfsburg: Es fehlt neben einer Mannschaft mit Leidenschaft und Verstand ein erstklassiges Management. Tayfun Korkut, der den glücklosen Roger Schmidt ablöste, scheiterte grandios an der Aufgabe, eine uninspirierte Truppe in die Etage der Europa League zurückzuführen.

In Augsburg schlossen einige Sportjournalisten Wetten darüber ab, ob sich Markus Weinzierl auf Schalke bis Weihnachten halten kann. Dass ein verstockter und eigenschaftsloser Trainer im gedämpften Freudenhaus der Liga eine ganze Saison durchhalten konnte, lag wohl auch daran, dass mit Christian Heidel ein Manager bei den Knappen in Verantwortung steht, der mit Weinzierl in dreierlei Hinsicht verbunden ist. Erstens haben sich beide ihre Reputation in der Fußballprovinz erarbeitet, zweitens sind beide auf Schalke gleichzeitig gestartet und drittens sind beide in Sachen Fußballkompetenz von einer unerschütterlichen Durchschnittlichkeit gezeichnet.

Von zwölf Trainerentlassungen während und nach der vergangenen Saison sind nur zwei nicht auf den Tabellenstand zurückzuführen: In Dortmund und Augsburg mussten Trainer ihre Stühle räumen, weil sie charakterlich nicht in das kulturelle und kommunikative Gefüge der Klubs passten. Für Thomas Tuchel und Dirk Schuster mag das besonders schmerzlich sein, doch ihre Entlassungen sind einfach zu verstehen. Beide lieferten die erwarteten sportlichen Ergebnisse und scheiterten dennoch, weil sie außerhalb des Platzes selten das Richtige sagten und sich somit auf ungewöhnliche Weise selbst demontierten. Das ist vor allem deshalb interessant, weil Tuchel und Schuster in Sachen Fußballphilosophie und Persönlichkeitsstruktur die wohl größte Differenz bilden, die es in der deutschen Trainergilde zu vermessen gibt.

Beide Trainer sind in der Bundesliga aus unterschiedlichen Gründen verbrannt. Für Tuchel wird es nach dem Rosenkrieg mit Dortmund wohl sehr schwer werden, im deutschsprachigen Raum als Cheftrainer im oberen Segment einen Job zu finden. Und Dirk Schuster muss ohnehin einen Weg aus einem tiefen und dunklen Labyrinth seiner „Nach-dem-Fußball-Persönlichkeit“ finden.

Mit großer Spannung wird zu beobachten sein, ob Thorsten Frings in Darmstadt und Maik Walpurgis in Ingolstadt ihre Arbeit in der Zweiten Liga mit ähnlich guten Ergebnissen krönen, die sie bei beiden Vereinen in der Ersten Liga einfuhren. Mit großer Spannung wird auch zu verfolgen sein, ob sich Leipzig und Hoffenheim als neue Ligagrößen behaupten können und ob Schalke, Wolfsburg und Leverkusen wieder in die Spur der Spitzenteams zurückfinden.

Ähnlich spannend die Frage, ob Manuel Baum in Augsburg bundesligataugliche Größe entwickelt und ob sich die neuen Bundesliga-Greenhorns Heiko Herrlich (Leverkusen), Domenico Tedesco (Schalke), Peter Bosz (Dortmund) und Sandro Schwarz (Mainz) bei ihren neuen Klubs behaupten können und für die Liga in Sachen Taktik und Analyse einen Gewinn darstellen.

Mit der gestrigen Trainerentlassung auf Schalke ist die Bundesligasaison 2016/17 endgültig beendet. In der kommenden Saison wird wegen der beiden Großklub-Aufsteiger Hannover und Stuttgart wohl nur noch der FC Augsburg die offizielle Zielvorgabe „Nichtabstieg“ formulieren. Dass diese kurz gedachte Zielsetzung auch in Augsburg intern hinterfragt wird, darf man hoffen.