Suggestives Tanzspektakel
Das „Rap4peace“-Projekt mit „Songs for Othello“
Von Frank Heindl
Wenn der gelungene Anfang den Erfolg macht, dann ist dieses Ballett schon nach der ersten Minute ein Knüller. „Rap4Peace“, die wilde, flippige, kreative Nachwuchstruppe um den Choreographen Daniel Zaboj, hat diesmal die große Bühne des Großen Hauses zur Verfügung – im letzten Jahr tanzte man noch in der Komödie. Und hier geht deutlich mehr als auf dem engen Bühnenraum in der Altstadt.
Vorsichtig und leise schleicht der schwarz-weiße Todesvogel (oder -engel?) am Vorhang entlang, der hebt sich – und dahinter tanzt das brodelnde Leben: Gut 50 Tänzer flippen vor roten Hintergrund, zwei unfassbar junge Rapper skandieren rhythmisch ihre Botschaft ins Publikum, es wird ausgelassen gefeiert, getanzt, Musik gemacht, zusammen bläst man das Publikum weg und zieht es gleichzeitig hinein ins Geschehen – furioser Beginn eines 75-minütiges, suggestiven Tanzspektakels.
Während Zabojs letztjährige Produktion noch bemüht war, jene „street credibility“ zu erhalten, die darin besteht, dass die Tänzer auf ihre (Migrations-)Herkunft verweisen, dass sie Rapgesang und Breakdance als Antwort auf die Gesellschaft sehen und leben, die sie ausstößt und der sie nicht angehören (und nicht angehören wollen) – während also im letzten Jahr noch Sozialpädagogik mit auf dem Spielplan stand, setzte Zaboj diesmal konsequent auf Perfektion. Amateure standen da auf der Bühne, denen es gelang, jeden Anklang von Laienspiel zu vermeiden. Das ist nur konsequent – Rap, HipHop und Breakdance gehören einerseits wohl immer noch zu einer gewissen urbanen Subkultur, sind aber – nach dem üblichen Umweg über Mode- und Popbusiness – längst auch in der Hochkultur angekommen. Und zwar nicht nur auf den kleinen (Komödien-)Bühnen, sondern in den Großen Häusern. Der Bürger erschrickt nicht mehr vor wirbelnden Körpern, abgehackt-aggressiven Texten und bassbetonter Musik – sondern goutiert die Perfektion des rhythmusbetonten Körperkults.
Ein Toter am Bühnenrand
Und den gab’s im Stadttheater satt: Wie sich zu Anfang die bunt gekleidete Partygesellschaft immer enger um die beiden Rapper gruppiert, während immer wieder Solisten in den Vordergrund drängen, ein Breaker sich per Salto aus dem Stand ins Geschehen katapultiert, die Tänzer sich gegenseitig anspornen – diese Choreographie war so dicht, so soghaft, so die Sinne vereinnahmend, dass eigentlich nur einer sie durchbrechen konnte: der Tod. Plötzlich liegt da einer am Bühnenrand, für den die große Party für immer zu Ende ist. Mussten das „Songs for Othello“ sein? Zaboj hat Shakespeares Dramen als Bezugspunkt für seine Rap4Peace-Produktionen gewählt, und man mag diesen Schritt tief in die Geschichte der Hochkultur gutheißen. Othellos Drama mag Zaboj inspiriert haben – nötig hatte der Abend diesen Rahmen nicht, stark wäre die Geschichte auch ohne den Verweis auf den genialen englischen Dramatiker gewesen und wer das Programmheft erst im Nachhinein konsultierte, hatte während der Vorstellung trotzdem nichts verpasst.
Luftsprung und Purzelbaum
Der Tote auf der Bühne jedenfalls durfte noch einmal aufstehen. Nun wurde seine Geschichte erzählt, und es war die Geschichte von Erfolg, Liebe und Tod, von Eifersucht und Mord, von falschen Gerüchten und falschen Konsequenzen – eine Geschichte, die auch Jugendliche erfahren und erzählen können. Massenszenen, immer wieder durchbrochen von tänzerischen Miniaturen, gehetzt über die Bühne jagende Flüchtende vor einsam Singenden, Tanzenden, dazu im Bühnenbild Zeichnungen im alles vereinfachenden Mangastil, dazu mal rhythmisch, mal melodiös mitreißende Musik aus den Genres Rap und HipHop, Techno, Ambient, World und vielem mehr, dazu ein Pantomime, hinter dessen weißer Maske manchmal der Mensch hervorsieht, dazu von der Decke baumelnde Headsets, unter denen man sich hemmungslos der Musik hingeben kann und die dann doch wie sich auflösende Seifenblasen in den Himmel verschwinden, dazu Netze, in denen man sich tödlich verstricken kann, in denen schließlich ein Mord geschieht – und vor allem natürlich hinreißender Ballettanz und harter Breakdance, akrobatisch auf einer Hand hüpfende Jungs, Luftsprünge und Purzelbäume, dann wieder Massenformationen, die sich erneut in die individuelle Einsamkeit auflösen – und schließlich der immer bedrohliche und doch auch friedlich erlöserisch wirkende Todesengel, dargestellt von Daniel Zaboj persönlich. Das war buntes, mal grelles, mal nachdenkliches Tanztheater, wie man es sich wünscht, von der ersten Minute bis zur allerletzten. Und von „street credibility“ keine Rede, kein Gedanke – an die erinnert sich der Rezensent nur, weil er sie im letzten Jahr vermisst hatte. Diesmal war sie einfach kein Thema mehr.
„Songs for Othello“ gibt es leider nur noch einmal: morgen, am 10. Juni um 19.30 h im Großen Haus am Kennedyplatz.
» theater1.augsburg.de
2009 in der DAZ: Unsere Besprechung des Rap4Peace-Stücks „body talks“ und ein Interview mit Choreograph Daniel Zaboj.