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Mittwoch, 26.11.2025 - Jahrgang 17 - www.daz-augsburg.de

Augsburger Pollermarkt

Wenn deutsche Hysterie auf pragmatische Handarbeit trifft

Das dürfte in Deutschland einmalig sein: Um die Besucher des abend­ländi­schen Christ­kindles­marktes vor morgen­ländi­schen Terror­fahrern zu schützen, lässt die Stadt Augsburg 350 Kilo schwere Eisenpoller mehrere Meter von Hand hin und her schieben, 30 Tage lang, zehn Stunden am Tag und 128-mal pro Stunde.

Von Bruno Stubenrauch

Poller auf den Schienen: Maximilianstraße

Dieses Jahr gehört erstmals die komplette Straßen­bahn­trasse zwischen Perlach­berg und Maxi­milian­straße 19 (XL-mit-Pfiff) zur Hoch­sicher­heits­zone um den Christ­kindles­markt. Das heißt: Die Absperr­linie verläuft quer über die Schienen. Technisch gelöst wurde das so: Kommt gerade keine Tram, steht ein 350 Kilo schwerer Metall­poller mit Teller­fuß mittig auf jedem der beiden Gleise. Aber: Will eine Tram passieren, muss der Poller natürlich weg. So funktioniert’s:

Zwei Linien fahren im 7,5-Minuten­takt über den Rathaus­platz. Macht 8 Bahnen pro Stunde, pro Linie und Richtung, also 32 Trams, die stündlich über den Platz fahren. Für jede Tram müssen zwei Poller weichen: am Perlach­berg und auf Höhe der Maxi­milian­straße 19. Also muss 64-mal ein Poller weg, und nach Passieren der Bahn 64-mal sofort wieder zurück auf die Schienen. Macht 128 Poller­bewe­gungen – pro Stunde! Hier ist eine halbe Stunde Fahr­plan­auszug:
  • Linie 2 17:02 Stadtbergen
    Linie 1 17:03 Göggingen
    Linie 1 17:03 Lechhausen
    Linie 2 17:04 Haunstetten
    Linie 2 17:08 Stadtbergen
    Linie 1 17:10 Lechhausen
    Linie 1 17:11 Göggingen
    Linie 2 17:12 Haunstetten
    Linie 2 17:17 Stadtbergen
    Linie 1 17:17 Lechhausen
    Linie 1 17:18 Göggingen
    Linie 2 17:19 Haunstetten
    Linie 2 17:23 Stadtbergen
    Linie 1 17:25 Lechhausen
    Linie 1 17:26 Göggingen
    Linie 2 17:27 Haunstetten

Ein Kraftakt

Den Kraftakt vollbringt die „Agentur EMV Sicher­heits­dienst“ aus Augsburg. Sieben Mit­arbeiter waren am gestrigen Dienstag im Einsatz, gefilmt und foto­gra­fiert von zahl­reichen Markt­besuchern, die das Schauspiel nicht fassen konnten.

„Kraftakt“ ist dabei wörtlich zu nehmen: Obwohl die Poller auf luft­be­reiften Wagen bewegt werden, sind dafür am Perlach­berg zwei Personen nötig – wegen des Gefälles und des buck­ligen Kopf­stein­pflasters, über das die Poller gezogen werden müssen. Zudem müssen die Poller nach dem Zurück­rollen auf die Schienen mit einer Art Wagen­heber­kurbel aufs Pflaster abge­lassen werden. Sonst könnten sie ja vom Terror-BMW einfach weg­geschoben werden – nicht Sinn der Sache.

Es ist eine brillante Metapher für deutschen Amts-Eifer: Wir haben zwar ein Problem (Terrorgefahr) und eine funktio­nie­rende Infras­truktur (Tram), aber wir lösen das Dilemma, indem wir 350-Kilo-Hinder­nisse auf den Rathaus­platz stellen und sieben Männer dafür bezahlen, diese alle 28 Sekunden neu zu positio­nieren. Wir lassen uns doch unsere abend­ländi­sche Kultur nicht nehmen!

EMV-Power am Perlachberg: Der Poller muss weg, die Tram kommt!