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Sonntag, 21.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Zoff im H2

Von Siegfried Zagler

Die Eröffnung der Retrospektive zum 50. Kunstförderpreis der Stadt Augsburg im „H2 – Zentrum für Gegenwartskunst“ ist von einer Reihe von Kunstförderpreisträgern am Donnerstagabend als Plattform des Protests gegen die Kulturpolitik der Stadt verwendet worden. Dabei entwickelte sich zwischen Protestlern und Kulturreferent Peter Grab ein erhitzter Disput, der das aktuelle Unbehagen in der Kunstszene widerspiegelte.

Eine frei formierte Gruppe von Künstlern – zum größten Teil ehemalige Preisträger – hatte bereits zu Beginn der Woche unter dem Motto „Kultur geht baden“ eine „Pressemitteilung“ in die Stadt gestreut, in der Kulturreferent Peter Grab vorgeworfen wurde, dass die Stadt die Sparte der zeitgenössischen Kunst nicht genug wertschätze. Grab widersprach diesem Vorwurf vehement und griff in seiner Replik auf die Protestrede von Christofer Kochs die Initiatoren der Aktion direkt an.

Die ausgestellte Kunst trat in der erhitzten Atmosphäre in den Hintergrund, was zu bedauern war, schließlich reflektiert die Schau ein halbes Jahrhundert Schaffen der Kunst- und Kulturszene in Augsburg. „160 Preisträger zeigen ein Stück Zeitgeschehen und erzählen von unterschiedlichen künstlerischen Positionen“, so der Ankündigungstext in der Pressemappe der Stadt. Die DAZ wird die bis 16. Mai dauernde Ausstellung angemessen begleiten. Der Auftakt war jedenfalls spektakulär und glich am Tag nach dem offiziellen Ende des Brecht-Festivals einem kulturpolitischen Lehrstück, und fast könnte man der Versuchung unterliegen, zu behaupten, dass das Augsburger Brecht-Festival nach den beiden Galaveranstaltungen und der Preisverleihung an Albert Ostermaier mit dem vierten Anlauf endlich einen überzeugenden Abschluss fand.

„Welchen Wert hat die zeitgenössische Kunst in Augsburg?“

Kochs: "Welchen Wert hat die zeitgenössische Kunst in Ausgburg?"

Kochs: "Welchen Wert hat die zeitgenössische Kunst in Ausgburg?"


Christofer Kochs, einer der Unterzeichner des Offenen Briefes, warf in seiner Rede der Stadtregierung vor, mit der aktuellen kulturpolitischen Weichenstellung ein Stück künstlerische Identität der Stadt Augsburg zu verkaufen. Augsburg sei dabei, durch die „massiven Kürzungen“ im Kulturbereich das „zeitgenössische Profil zu verlieren“. Kochs verwies dabei auf den um zwei Drittel gekürzten Ausstellungsetat des H2, der 2010 nur noch 25.000 Euro beträgt. „Andere Institutionen und Veranstaltungen sind gar nicht oder weit weniger betroffen. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit? Welchen Wert hat die zeitgenössische Kunst in Augsburg?“, so Kochs, der Peter Grab aufforderte, den Kunstförderpreis auch 2010 auszuloben, sich für zeitgenössische Kunst einzusetzen sowie ku.spo einzustellen, da der Ansatz falsch sei und man im Moment das Geld anderswo dringender brauche. Kochs Rede wurde von der Mehrzahl der knapp 200 Zuhörer mit starkem Beifall quittiert.

Peter Grab, der nach seiner kurzen Eröffnungsrede Kochs das Mikrofon übergab, konterte postwendend und zurechtweisend, weil er es für notwendig hielt, auf einige formale Ungenauigkeiten der Kunstprotestler hinzuweisen. Man sei „nach Wikipedia“ nicht korrekt mit dem Prozedere eines Offenen Briefes umgegangen. Frank Mardaus, Kunstförderpreisträger und kulturpolitischer Sprecher der SPD habe über eine Anzeige in der DAZ in seiner Eigenschaft als Politiker Unwahres behauptet und könne als Unterzeichner ku.spo nicht wirklich verstanden haben, es sei denn, dass er und andere wollten, dass Augsburg-Calling, LILALU und zahlreiche Vereins- und Schulprojekte nicht gefördert werden. Auch andere hätten das Recht, gefördert zu werden, während die Unterzeichner nur an die eigenen Vorteile denken würden. Wenn ein einziges Projekt gefährdet sei, dann habe das gleich „Symbolcharakter“, so Grab, der darüber hinaus darauf hinwies, dass bisher keine einzige Einrichtung trotz der Streichungen geschlossen werden musste. „In einer Notsituation ist es das Schlimmste, Verteilungskämpfe anzuzetteln“, so Grab in Richtung der Unterzeichner.

„Der Kunstförderpreis 2010 findet statt“

Vermutlich hat Grab das Anliegen der Unterzeichner nicht tief genug ausgelotet. Das Signal der Kochs, Maxzins, Irmers, Mardaus´, Gartners, Zöttls, Doblers und Co. (inzwischen haben 40 Personen das Schriftstück unterschrieben) hat nämlich weder viel mit formal korrekter Argumentation noch mit dem beklagten Sachverhalt an sich zu tun, sondern vielmehr mit dem generellen Unbehagen und dem Misstrauen, das die „Kultur-Geht-Baden“-Initiatoren gegenüber der Kulturpolitik der Stadtregierung zum Ausdruck bringen. Der Beweisführung der These, dass die Stadt die zeitgenössische Kunst nicht genug wertschätze, konnte Peter Grab an diesem Abend mit einer überraschenden Mitteilung entgegentreten: Am Ende seines Vortrags versicherte der Kulturreferent, dass der Kunstförderpreis 2010 stattfinden werde, da OB Gribl und er einen Sponsor gefunden hätten.

Grab im H2: “Der Kunstförderpreis 2010 findet statt”

Das allgemeine Unbehagen in der Kulturszene konnte der Kulturreferent mit seinem Kaninchen aus dem Hut dennoch nicht marginalisieren. Dabei hatte Grab in der vermeintlichen Sache die härteren Argumente als Antipode Kochs. 10.000 Euro habe er, so Grab, aus einem „Restposten“ des letztjährigen Haushalts für diese Ausstellung aufgetrieben. Die Verhältnismäßigkeit bei den Kürzungen im Kulturbereich sei allein schon dadurch zu belegen, dass bei einem Gesamtetat für das H2 von 450.000 Euro die Kürzungen nur wenig mehr als 10 Prozent ausmachen würden. Insgesamt werde, so Grab zur DAZ, in seinem Referat bei einem Gesamtetat von über 20 Millionen Euro 13 Prozent gestrichen. Im Durchschnitt seien das 1,5 Prozent mehr Kürzungen als in den anderen Referaten. „Es musste quer durch alle Referate gespart werden, und bei der Kunst und der Kultur wurde nicht überproportional mehr gestrichen als woanders“, so Grab.

Kunst braucht eine tiefere Reflexion als Popkultur

Der Kulturreferent mag prinzipiell Recht haben, wenn er sagt, dass „das Bekenntnis der Stadt zu ihren kreativen Künstlern nicht mit dem Kunstförderpreis steht und fällt“, und vielleicht lässt sich ja noch über die Stadtsparkasse – wie das bei der Neuen Stadtbücherei und ku.spo praktiziert wurde – die eine oder andere „Spende“ für Ausstellungen im H2 generieren. Doch selbst mit verdeckten Gewinnausschüttungen der Stadtsparkasse – wie das „Sponsoring“ der Stadtsparkasse wohl treffender zu bezeichnen wäre – wäre das subversive Brodeln in der gehobenen Kunst- und Kulturszene schwer zu beruhigen. Die vordere Reihe der Augsburger Kunstszene, so der Eindruck der Ausstellungseröffnung im H2, scheint sich von Peter Grab nicht angemessen wahrgenommen und verstanden zu fühlen. Grabs Credo „Kultur für alle“ stand im H2 zwar nicht direkt zur Disposition, aber im Grunde ging es um nichts anderes. Die Initiatoren des Protestbriefes haben sich zwei aktuelle „Missstände“ herausgepickt, um auf ein kulturpolitisches Vakuum zu verweisen, das man mit der Person Grabs verbindet. Wer einen platten Slogan („Kultur für alle“) zu einem kulturpolitischen Ziel erklärt und diesen Slogan mit der antiquierten Ideologie des „erweiterten Kulturbegriffs“ unterfüttert sowie mit einem schmalbrüstigen ku.spo-Konzept überbaut, darf sich nicht wundern, wenn man „von den Kunstschaffenden nicht ernst genommen wird“, wie es der Lokalchef der Augsburger Allgemeine, Alfred Schmidt, formulierte. Seit Donnerstag stehen hinter dieser Formulierung konkrete Personen, und es hat nicht nur einen ironischen Unterton, sondern auch Gewicht, dass sich ausgerechnet von der Stadt ausgezeichnete Künstler gegen die städtische Kulturpolitik zu formieren scheinen.

Wand im H2: Kunstförderpreisträger eines halben Jahrhunderts

Die zeitgenössische Kunst benötigt von der Stadt, aber nicht nur von der Stadt, eine genaue Lesart. Kunst braucht eine tiefere Reflexion als Popkultur. Hätte sich Grab am Donnerstag nicht – wie es eben leider seine Art ist – auf nebensächliche Scharmützel eingelassen, sondern seine Kulturpolitik erklärt, seine Not in den Haushaltskämpfen beschworen und sich öffentlich verpflichtet, die zeitgenössische Kunst zu fördern und zu verteidigen, um schließlich die Nachricht des Abends zu präsentieren, dass der Kunstförderpreis 2010 gesichert ist, wäre im H2 rasch die Ausstellung im Zentrum des Interesses gestanden – und nicht der Kulturreferent.

» Rede Peter Grab (pdf)

» Rede Christofer Kochs (pdf)