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Donnerstag, 18.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

FCA: Mehmet Scholl auf der Trainerbank

Am Sonntag steht für den FC Augsburg ein weiteres Endspiel auf dem Programm. In der heimischen WWK Arena empfängt das gebeutelte Weinzierl-Team in der 14. Runde der Fußballbundesliga den VfL Wolfsburg. „Mund abputzen und weiter“, so der Tenor der sportlichen Führung nach dem Bilbao-Desaster, das den FCA schwer erschütterte.

Von Siegfried Zagler

Als in der Fußballsprache die Etikettierung „Brasilianer“ noch kein Schimpfwort war, sondern eine Ernennung in den Adelsstand bedeutete, also lange vor der WM im vergangenen Jahr, wurde Mehmet Scholl als aktiver Spieler so genannt. Der „Brasilianer Scholl“ sollte an dieser Zusprechung scheitern, weil er als Fußballspieler stets mehr wollte als er konnte. Bis er nach vielen Jahren der Identitätssuche auf dem Platz von Ottmar Hitzfeld zum Einwechselspieler gemacht wurde, war Scholl beim FC Bayern eine Max-Frisch-Figur: „Ich bin nicht Scholl!“ Am Ende seiner Karriere, eben als Einwechselspieler, erlebte das unentwickelte Talent etwas Neues, nämlich eine funktionierende Rolle in einer Mannschaft, die durch sein Wirken nicht schwächer, sondern stärker wurde.

Überlegt man sich, was Scholl in der Blüte seiner Laufbahn hätte sein können, kommt Kevin de Bruyne ins Spiel. Scholl hat vermutlich immer davon geträumt, so Fußball zu spielen, wie Kevin de Bruyne das in seiner Wolfsburger Zeit tat. Es hat keinen anderen Spieler in einem halben Jahrhundert Bundesliga gegeben, der in kurzer Zeit einen nachhaltigeren Eindruck hinterließ als der Belgier mit dem Kindergesicht. Mit Kevin de Bruyne war Wolfsburg eine Mannschaft, die Bayern München das Wasser reichen konnte. Er fädelte das Spiel ein, beschleunigte es, verzögerte es, machte es breit oder trieb es durch die Mitte, er steckte Bälle durch die Nahtstellen und konnte auch mit Dribblings zuschlagen, er schlug genaue Flanken und schloss selbst eiskalt und zielsicher aus der Distanz ab, er verteidigte klug, konnte genaue lange Pässe in die Tiefe des Raums schlagen und war überall anzutreffen und stets um Tempo und die beste Lösung bemüht. Würde man Fußballlehrer fragen, welche Eigenschaften ein universaler Sturmführer zu haben hätte, könnten sie sich einen schnitzen, müssten sie mit dem Finger nur auf Kevin de Bruyne zeigen, der in diesem Sommer während der laufenden Saison für zirka 75 Millionen Euro Ablöse nach Manchester wechselte und dort einen Sechs-Jahresvertrag unterschrieb, der ihm jährlich 20 Millionen Euro einbringen soll.

Ohne de Bruyne, ist die Bundesliga um einen Weltstar ärmer und der VfL Wolfsburg nur noch die Hälfte wert. Ohne den Belgier spielt der VfL nicht mehr in der obersten Klasse, sondern gehört zu den schlagbaren Teams der oberen Tabellenhälfte der Bundesliga. Die Wölfe zeigen von Spieltag zu Spieltag starke Formschwankungen und leiden wie der FCA an sich selbst. Spieler wie Dante oder die beiden Spitzenkräfte im Sturm, Kruse und Dost, sind für unerwartete Formschwächen geradezu berühmt. Darin unterscheiden sich der FCA und der VfL also nicht, schließlich gibt es beim FCA ebenfalls eine Reihe Schlüsselspieler, deren Leistungskurven in der Vergangenheit starke Schwankungen anzeigten.

Beim FCA trifft das sogar auf den Trainer zu, der im Heimspiel gegen Bilbao die Rolle „Mehmet Scholl auf der Trainerbank“ innehatte. Führen wir uns also die Dramaturgie des Bilbao-Spiels nochmal vor Augen.

Als es in Augsburg noch Unentschieden (1:1) stand, lag Belgrad in Alkmaar mit 0:1 im Rückstand. In dieser komfortablen Situation wechselte Weinzierl sehr offensiv, obwohl zu diesem Zeitpunkt der FCA das Spiel dominierte. In der 56. Minute kam Bobadilla für Altintop und Caiuby für Trochowski. Die damit verbundene Ansage: Ein Unentschieden reicht nicht. Wir wollen gewinnen! Die Idee wie die Einwechslungen sind zwar in Ordnung, nur hätte Weinzierl statt Trochowski Dong-won Ji aus dem Spiel nehmen sollen. Der Führungstreffer (59.) schien dem FCA-Trainer vorübergehend Recht zu geben. Der FCA hatte sich die ideale Ausgangsposition erarbeitet. Die Blitztabelle zeigte neun Punkte für den FCA und nur sechs für Partizan an. Und selbst als in Holland Partizan den Ausgleich schoss (65.), hätte bei diesen Spielständen in der letzten Runde in Belgrad ein Unentschieden für den FCA gereicht. Dann schoss Bilbao in Augsburg den Ausgleich (83.). Bei diesen Spielständen hätte der FCA in Belgrad „nur“ irgendwie gewinnen müssen. Weinzierl und der FCA wollten aber mehr, nämlich zurück in den „Belgrad-Unentschieden-Status“. Die Basken waren noch mit Jubeln beschäftigt, da standen die Augsburger bereits ungeduldig beim Anstoß. Der FCA spielte kopflos nach vorne und fing sich einen weiteren Gegentreffer ein, der wie alle Bilbao-Treffer bereits im Mittelfeld brutal schlecht verteidigt wurde. Mit dem Belgrader Siegtor in der 89. Minute in Alkmaar war für den FCA das Schicksal endgültig besiegelt: Die Augsburger müssen nun in Belgrad mit 3:1 gewinnen. Sie fahren mit diesem schlechten Vorzeichen nach Belgrad, weil sie gegen Bilbao am Ende zuviel wollten.

Tabelle vor den Sonntagsspielen

Tabelle vor den Sonntagsspielen


Zurück zur Bundesliga: Um gegen Wolfsburg auf die Siegerstraße zu geraten, muss man wissen, wer man ist. Muss man einen klaren Plan haben, ein Konzept, das unerwartete Ereignisse beinhaltet. Und man muss endlich eine Offensivstrategie verinnerlicht haben, die der Qualität des Kaders angemessen ist –  und diese auch über 90 Minuten durchhalten. Die Niederlage gegen Bilbao hat zwei Einsichten in Stein gemeißelt. Erstens ist Altintop in einer Verfassung, in der er auch für die zweite Mannschaft eine Belastung wäre. Zweitens hat sich an der Gesamtsituation des FCA nichts verändert: Mehr Schatten als Licht im Spielaufbau und tödliche Konzentrationsschwächen wie Gedankenarmut in der Defensive, deren Problemzonen bereits im vorderen Mittelfeld beginnen. Zeigt sich in dieser Hinsicht nicht bald Besserung, dann befindet sich der FCA in schwerer Not.