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Donnerstag, 18.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Literatur im Biergarten: „Do gehmer hin“

Alle Jahre wieder die Pilgerschaft zu den Drei Königinnen in der Jakober­vorstadt. Um dann von Kurt Idrizovic begrüßt zu werden mit der Wetterprognose des Abends. „Dreißig Prozent“, sagte er beim Auftakt der diesjährigen Veranstaltungsreihe, „das ist gar nichts.“

Von Halrun Reinholz

Wer nicht rechtzeitig da ist, muss sich mit einem Platz unter mehr oder weniger Baumschutz begnügen – ein Risiko, wenn es denn doch mal regnet. Die sicheren überdachten Plätze sind erfahrungsgemäß lange vor Beginn der Veranstaltung belegt. – Auf dem Programm stand ausnahmsweise nicht Literatur, sondern Sprachwissenschaft. Gerald Huber, Sprachwissenschaftler und BR-Redakteur, hat sich der Erforschung des Bairischen verschrieben. Mit seiner „Bairischen Wortkunde“ liegt ein unterhaltsames, aber durchaus ernst gemeintes Plädoyer für die selbstbewusste Verwendung bairischer Wörter im Alltag vor. Daraus las er einige Passagen vor und führte den Beweis, dass das Bairische nicht nur das wahre Hochdeutsch (im sprachwissenschaftlichen Sinn als Unterscheidungsbegriff vom Niederdeutschen) ist, sondern auch als kelto-romanisches Entwicklungsprodukt der Ausdruck gewachsener Kulturverschmelzung. Ganz im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass der bairische Dialekt vom Aussterben bedroht sei, folgte ein erkennbar dialektkundiges Publikum aktiv und amüsiert Hubers Ausführungen zur Herkunft der Wörter.  Das bairisch-schwäbische Grenzgebiet, in dem sich Augsburg befindet, spielte in der Argumentation hoch- / niederdeutsch keine Rolle, sodass auch die Schwaben sich in der großbairischen hochdeutschen Kulturfamilie heimisch fühlen konnten. Und überhaupt sei man ja hier in einer alten Römerstadt, Augusta Vindelicum, als Provinzhauptstadt per se kulturelles Zentrum. Das ging den Augsburgern runter wie Öl. Doch bei aller Frotzelei ging es dem Sprachwissenschaftler natürlich nicht um die Abwertung anderer Sprachformen oder Dialekte, sondern um die Schärfung des Sprachbewusstseins, das in Bayern (oft im Einklang mit Duden & Co) fremde Wörter („Brötchen“) als „hochdeutsch“ empfindet und die eigene „Semmel“ (ein edles Gebäck aus weißem Mehl, simila) verschämt als minderwertigen Regionalismus brandmarkt. Das Selbstbewusstsein, das den Bayern fehle, sei paradoxerweise in Österreich vorhanden. Hier haben sich bairische Sprachvarietäten in einem eigenen Staatsgebilde zusammengefunden, weshalb bairischer Wortschatz als Standard gilt – von der Weichsel bis zum Topfen. Die Internationalität, die das Bairische durch seine Einbindung in den kelto-romanischen Kulturkreis verkörpert, spiegelte sich auch im Repertoire der virtuosen Akkordeonistin Maria Reiter wider, ihre „musikalischen Fußnoten“ bewegten sich souverän zwischen Schnaderhüpfern und argentinischem Tango und rissen das Publikum mit. Die 30 Prozent hatten diesmal übrigens zugeschlagen, es gab zwei kurze Regengüsse („Duscherer“), doch das tat der guten Laune keinen Abbruch.

Tröstlich, dass die Reihe erst angefangen hat. Es gibt noch drei Lichtblicke im zu erwartenden Augsburger Sommerloch. Am 2. August kommt Friedrich Ani, bekannt als Schöpfer des Krimikommissars Süden und liest, begleitet vom gypsy jazz trio „alegresse“ aus seinen Kurzgeschichten. Am 9. August präsentiert Bernhard Butz, unterstützt von Michaela Dietl am Akkordeon,  ein „Bayerisches Quartett“ aus Ludwig Thoma, Ludwig Ganghofer, Lena Christ und Oskar Maria Graf. Und am 30. August kommt wieder mal Dirk Heßerer mit einem Spagat von Brecht bis Karl Valentin „zwischen Plärrer und Oktoberfest.“ Das wird dann im wahrsten Sinne des Wortes die „Schlussfanfare“ sein, mit dem Saxofon- und Trompetenduo Take Two. Also wieder mal viel Bayerisches bei den Drei Königinnen in diesem Sommer. Oder Bairisches? Den Unterschied hat Gerald Huber auch erklärt: Bairisch ist die Sprache, Bayern der Staat. Biergarten bildet eben.