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Donnerstag, 28.03.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

TTIP: Demo vor dem Dom

Wer sich vergangene Woche über den Stand der Dinge beim Freihandelsabkommen informieren wollte, dem wurde in Augsburg reichlich Gelegenheit geboten.

Von Udo Legner und Frank Heindl

I Visionen  in der Werkstatt Solidarische Welt

Hintergrundgespräch in der Werkstatt Solidarische Welt, v.l.n.r.: Petra Gebhardt, Weltladen Augsburg, Bärbel Kofler, MdB, Sprecherin der Arbeitsgruppe "Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung", SPD MdB Ulrike Bahr, Barbara Holl, Werkstatt Solidarische Welt

Hintergrundgespräch in der Werkstatt Solidarische Welt, v.l.n.r.: Petra Gebhardt, Weltladen Augsburg, Bärbel Kofler, MdB, Ulrike Bahr, MdB, Barbara Holl, Werkstatt Solidarische Welt


In Anwesenheit von Ulrike Bahr ging Bärbel Kofler, SPD MdB, Sprecherin der Arbeitsgruppe „Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ im Anschluss an eine kurze Führung durch den Augsburger Weltladen  auf die Wichtigkeit von Standards bei der Produktion von Textilien ein:  Man müsse wegkommen vom Prinzip der Freiwilligkeit. Ökologische Standards und Arbeitsstandards müssen stattdessen einklagbar werden und auch Haftungsfragen  müssen ins Handelsgesetz integriert werden. Wichtig sei es, sich hierbei an positiven Beispielen zu orientieren, bei denen diese Standards bereits eingehalten werden – wie etwa bei der „Fair Wear Foundation“. Den Menschenrechtsbeauftragten des Bundestags sah Bärbel Kofler als mögliche Institution an, die eine solche Kontrollinstanz aufbauen könne.

II Vortrag zum Freihandelsabkommen TTIP

Lokale Agenda

Lokale Agenda


Im Rahmen der Vortragsreihe „Was tun?“ der Lokalen Agenda 21 trug der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Dr. Wolfgang Kessler , Chefredakteur der Zeitschrift Publik Forum, im bis auf den letzten Platz gefüllten Augustanasaal seine Thesen und Bedenken zum Freihandelsabkommen TTIP vor. – Durch die Verhandlungen über das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, kurz TTIP) zwischen der EU-Kommission und der US-Regierung soll die weltgrößte Freihandelszone geschaffen werden.  Dabei geht es nicht nur um ein die Absenkung von Zöllen, sondern um einen umfassenden Abbau von Handelshemmnissen und nicht zuletzt darum, Investitionen auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks vor staatlichen Eingriffen zu schützen.  Besonders in der Kritik stehe der Investitionsschutz, der über außerstaatliche  Schiedsgerichte unter Aufsicht von Weltbank  und UNO geregelt werden soll. Konzerne, die sich durch demokratisch legitimierte politische Entscheidungen geschädigt fühlen, könnten vor diesen Gerichten auf Entschädigung klagen. Die Grundfrage sei, ob es möglich ist, Wirtschaftspolitik mit ethischen Ansprüchen zu vereinbaren. Nach Ansicht von Dr. Kessler  würden Freihandelsabkommen immer die billigeren Anbieter begünstigen. Der Konkurrenzkampf – wie etwa in der Landwirtschaft – ginge stets auf Kosten der Kleinbetrieb.  So würden sich im Zuge größerer wirtschaftlicher Liberalisierung die Standards gegenseitig weiter nach unten treiben. Aus Sicht der Unternehmer sei der Abbau von Handelsbeschränkungen verständlich, erleichtere dieser doch den Absatz und Produktion.  Im Grunde ginge es bei dem Freihandelsabkommen um nichts anders als die Vorherrschaft der Wirtschaft über die Politik. Da die USA gegenüber China hoch verschuldet seien, verfolge die amerikanische Wirtschaftspolitik mit aller Macht die Stärkung ihrer Wirtschaftsposition. Die Europäer hätten nicht das Selbstbewusstsein, sich in dieser Frage gegen die USA zu stellen.  So würde in  Brüssel niemand darauf hinweisen, dass durch das geplante Freihandelsabkommen Schutzgesetze für Beschäftigte oder Umwelt beseitigt würden. Dank der Diskussionen und Debatten zu  TTIP bestünde jedoch das erste Mal seit langem die Chance, dass zivilgesellschaftlicher Druck auf beiden Seiten ein Freihandelsabkommen zu Fall bringt. Statt einseitig die Interessen von multinationalen Konzernen zu bedienen, könnte durch  internationale Abkommen im Sinne eines  gerechten Welthandels, der diejenigen Unternehmen belohnt, die ökologisch und gerecht produzieren,  die Lösung globaler Probleme angestrebt werden.

III Demo und Kundgebung am Augsburger Dom

600 Teilnehmer mit kurzer Marschroute: die samstägliche Anti-TTIP-Demo …

600 Teilnehmer mit kurzer Marschroute: die samstägliche Anti-TTIP-Demo …


„Vorsicht, Leut‘, des is‘ a Falle / ned nur für di‘, sondern für alle!“ – Sänger Markus Nagy machte beim den Teilnehmern der Anti-TTIP-Demonstration am Samstag in oberbayerischem Dialekt Stimmung. Die war ohnehin gut, denn Demonstranten wie Veranstalter waren von der hohen Teilnehmerzahl überrascht. 700 Demonstrationen und Kundgebungen waren am Samstag in ganz Europa geplant, 170 davon in Deutschland – allein in Augsburg zählten die Veranstalter mehr als 600 TTIP-Gegner bei der Kundgebung am Rathausplatz.

Schon zum Auftakt am Dom hatte sich viel globalisierungskritisches Publikum eingefunden – die Teilnehmer-Schätzung war da noch umstritten, aber auch nicht so wichtig. Veranstaltungs-Moderator Gerald Fiebig, in Augsburg bekannt sowohl als Mitglied des attac-Arbeitskreises Freihandel wie auch als (Elektronik-)Musiker, hatte den Applaus auf seiner Seite, als er Einlassungen des CSU-Manns und Europaparlament-Mitgliedes Markus Ferber zum Thema TTIP als „gelinde gesagt a Schmarrn“ bezeichnete. Der Applaus kam von ödp, Piraten, Greenpeace, Bund Naturschutz und einer Reihe weiterer Organisationen aus dem Spektrum der Globalisierungsgegner – viele mit Fahnen, die ihre Organisationszugehörigkeit signalisierten, manche auch mit individuellen Losungen, etwa der – möglicherweise umstrittenen – Forderung nach „LSD statt Chlor im Huhn“. Die Augsburger Grünen waren mit reichlich Basis vertreten, aus deren Reihen hinter vorgehaltener Hand ein wenig Frust herauszuhören war: Die „Kluft“ zwischen Stadtrats-Mitgliedern und der Basis zehre an den Nerven. Bei der Demo jedenfalls waren keine grünen Stadtratsvertreter zu sehen – einige von ihnen waren wohl zur größeren Veranstaltung nach München gereist, anderen mögen dem parteiintern umstrittenen Widerspruch zwischen TTIP-Gegnerschaft und der Befürwortung einer Stadtwerke-Fusion ausgewichen sein.

„Kleinbauern ernähren die Weltbevölkerung“

… zwischen Dom und Perlachturm (Fotos: Frank Heindl).

… zwischen Dom und Perlachturm (Fotos: Frank Heindl).


Der Demonstrationszug führte lediglich vom Dom zum Rathaus und sorgte so nur zu sehr kurzfristigen Verkehrsstörungen. Am Kundgebungsort warnte dann Brigitte Engl von attac vor einem „demokratisch nicht legitimierten transnationalen Regulierungsrat“ im Rahmen der TIPP-Regelungen und forderte „Gesetze und Regierungen, die den Menschen und der Umwelt dienen.“ Hubert Krimbacher vom Arbeitskreis bäuerliche Landwirtschaft betonte, historisch gesehen hätten Freihandelsabkommen stets die bäuerliche Ordnung „vernichtet“, anstatt ihr aufzuhelfen – und diese Tendenz sei bedrohlich: Immer noch nämlich würden 80% der Weltbevölkerung von Kleinbauern mit einer Landwirtschaftsfläche von ein bis zwei Hektar versorgt. „Die ernähren die Weltbevölkerung, nicht so genannte Nahrungsmittelkonzerne, so Krimbacher.

Redner Stephan Kreppold, ebenfalls vom AK bäuerliche Landwirtschaft, warnte anschließend vor dem „Weg in eine Marktdiktatur“ und vor einer Regierung, die dabei sei, „das letze Quäntchen an Gestaltungsmöglichkeiten“ aufzugeben. Es gehe den Regierenden in der Landwirtschaft derzeit „nur noch um den Preis, nicht mehr um den Wert“. Bruno Marcon von attac schließlich machte die regionale und lokale Bedeutung von globalisierungskritischen Einstellungen deutlich. Der Organisator des Bürgerbegehrens gegen die Fusion der Augsburger Stadtwerke mit Erdgas Schwaben zeigte noch einmal auf, dass es bei TTIP nicht nur um den Handel mit Waren gehe, sondern auch um den mit Dienstleistungen wie Bildung und Kultur. Seiner Befürchtung nach könnte TTIP dazu führen, dass künftig auch Einrichtungen wie das Theater oder kommunale Hausaufgabenbetreuung ausgeschrieben und an den kostengünstigsten Anbieter vergeben werden müssten. Ähnlich wie in der „großen Politik“ sieht Marcon auch in Augsburg eine Politik der Geheimhaltung und des Versteckspiels am Werk, die akut die Demokratie gefährde. OB Gribl, so der Vorwurf, versuche zu verschleiern, dass den Augsburgern mit der geplanten Energiefusion etwas genommen werde, „was ihr Eigentum ist.“ Auch die grüne Basis applaudierte.