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Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Brecht: Ein Festival auf den Spuren des Telekollegs

Falls Joachim Lang das Vertragsangebot der Stadt ablehnen sollte, noch ein weiteres Festival zu verantworten, kümmert das wenig. Dann macht die Stadt 2016 ein Brechtfestival eben ohne Joachim Lang. Viel schlechter als das kürzlich zu Ende gegangene Brechtfestival kann es ohnehin kaum werden.

Von Siegfried Zagler

Während des diesjährigen Augsburger Brechtfestivals gab es drei bemerkenswerte Ereignisse. Zuvorderst die rauschhafte Baal-Inszenierung am Münchner Residenz-Theater, die kurz vor und während des Augsburger Brechtfestivals in allen großen Feuilletons hin und her besprochen wurde. Und zweitens sickerten während des Festivals utopische Zahlen in Sachen Augsburger Theatersanierung an die Öffentlichkeit und bestimmten von diesem Moment an eine geisterhafte Debatte in der politischen Stadt. Und schließlich stürmte der FC Augsburg in der Englischen Woche während des Brechtfestivals direkt auf die Champions-League-Ränge der Bundesliga, weshalb sich FCA-Kapitän Daniel Baier nach dem Remis gegen Frankfurt über mangelnde Begeisterung des Augsburger Publikums beschwerte und dafür auch noch in der Mehrzahl bei jenen, die die Kritik anzunehmen hatten, Zustimmung fand.

Man hätte in Augsburg glatt vergessen können, dass Brechtfestival ist. Doch der Reihe nach: Zur Zeit sieht es nämlich danach aus, als würde Festivalleiter Joachim Lang  das neue Vertragsangebot der Stadt für ein weiteres Festival nicht annehmen. Ende Januar, also bereits vor dem Festival, hatte Lang ein schriftliches Vertragsangebot für das kommende Festival 2016 vorliegen. Bisher hat er sich dazu nicht geäußert. Es ist bekannt, dass Lang gerne noch drei Jahre weiter gemacht hätte. Nach dem Festival wurde er von der Stadt gebeten, dem städtischen Angebot näher zu treten, bisher blieb eine Antwort aus. Lang ziert sich weiterhin, was aber offensichtlich niemand kümmert, da die Stadt auch ohne Festivalleiter Lang für 2016 ein Brechtfestival auf die Beine stellen würde, wie es hieß.

Wieder zu Gast: der unvermeidliche Thomas Thieme

Wieder zu Gast: der unvermeidliche Thomas Thieme


Zum vergangenen Brechtfestival ist Folgendes zu sagen: Es war wieder schlecht. Wie in all den Jahren davor gab es keinen Roten Faden, kein Festivalzentrum, keine Festivalstimmung, keine Kneipe, keinen Ort, wo das Festival zu Hause war. Keine Kneipe? Es gab eine Kneipe, die sich während der Festivals „The Next Whiskey Bar“ nannte – und kulinarischen Feinheiten a la Helene Weigel nach dem Rezeptbuch von Martha Schad anbot – und um 1 Uhr die Rolladen herunter ließ und  somit auf wunderbare Weise die „Festivalatmosphäre“ abbildete. Es gab die üblichen Gesichter der Augsburger Künstler, es gab, wie immer, die obligatorischen Büchertische, die üblichen Formate der Vorjahre und natürlich Auftritte zahlreicher Bands, die im Laufe des Abends ein Brecht-Zitat zum Besten gaben. Es gab wieder eine lange Brechtnacht im Honkydonky-Format, also einen langen Abend mit einer großen Anzahl von Parallelveranstaltungen und anschließend reihenweise Tage mit Leerlauf. Die Eröffnung war kälter als Eis und die darauf folgende Galilei-Performance des unvermeidlichen Thomas Thieme im Zusammenspiel mit einem 55-köpfigen Kinderchor ein dramaturgischer Offenbarungseid. Es gab natürlich das übliche Talk-Gesäusel, das pseudowissenschaftliche Jan-Knopf-Gemurmel und immerhin ein furioses Stück Theater: „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ und es gab (natürlich auch wie immer) „die Zeitung“, die das Festival als Medienpartner freundlich hofierte beziehungsweise sehr verhalten kritisierte. Und natürlich gab es wieder eine berühmte Diva im Vorruhestand. Dieses Jahr war sie männlich: Klaus Peymann, der mit „seinem ureigenen Bolschoi-Ballett“, also seiner Mutter-Courage-Inszenierung aus dem Jahre 2005 in Augsburg als diesjähriger Superstar gastierte: Wie geschnitzt, also grob und schwerfällig erzählt dieses geronnene Stück Theaternebel von der Vergangenheit des Kunst-Realismus eines auf der Stelle tretenden Berliner Ensemble. „Diese Aufführung wirkt wie ein schlechtes Zitat und ist urkonservatives Einverständnistheater. Das Publikum, das sich zum Schluss aus seiner Erstarrung in heftigen Applaus befreite, scheint die Denkfaulheit der Inszenierung und die Denkfreiheit für sich honoriert zu haben“, so Deutschlandradio Kultur zur Premiere des Stückes im Jahre 2005. Eine kluge Wiedergabe eines Phänomens, das sich in der Augsburger Aufführung eins zu eins wiederholte. Schließlich glänzt in der Theaterprovinz die Patina hell und erinnert allzu oft an das alte Frisch-Wort von der durchschlagenden „Wirkungslosigkeit eines Klassikers“.

Das Top-Ereignis während des Festivals: Der FCA springt auf die Champions League Ränge!

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Das alles wäre nicht weiter der Rede wert, weil das Brechtfestival unter der Leitung von Joachim Lang eben nichts anderes ist, als ein schnell entwickeltes Durcheinander gefälliger Banalitäten, die es auf das schnelle Einverständnis des Publikums abgesehen haben. Dieses Jahr kam allerdings eine zynische Brechung dazu, schließlich hieß das Motto des diesjährigen Festivals „Exil“. Und so kam es, dass sich das Festival bemühte, dem Publikum nicht nur den „Universalisten“ Brecht, sondern auch das „Thema Exil“ näher zu bringen: Es gab einen Exilabend im Großen Haus mit bekannten Schauspielern, die in die „Text-Rollen“ von berühmten „Exilpersönlichkeiten“ schlüpften (Brecht, Weigel, undsoweiter). Ein weiterer Schritt in Richtung Telekolleg: Schriftsteller mit Flucht- und Exilerfahrung lasen in der Kulisse von Asylbewerberunterkünften vor, Sebastian Seidels „Flucht ins Exilhaus“ sowie die Bluespots mit ihrer „Reise ins Exil“ wollten den Besuchern ernsthaft mittels Theaterrealismus ein Gefühl der Lebenswirklichkeit einer Existenz im Exil vermitteln. Die Frage, die sich dabei stellt, ist in etwa so banal wie die Klaviatur der gesamten Festivalreihe: Für wie dumm wird von Joachim Lang und seiner Entourage das Augsburger Publikum eigentlich gehalten?