DAZ - Unabhängige Internetzeitung für Politik und Kultur
Samstag, 20.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Das Böse sind immer die anderen

Anmerkungen zu Peter Grab und Arno Löb

Von Siegfried Zagler



I Die Neugierde auf das Leben der anderen

Stellen wir uns vor, dass Arno Löb, im Lauf der kommenden Tage, Wochen und Monate wieder Details auf seinen Blog stellt, die strafrechtliche Relevanz haben könnten. Nehmen wir an, es würde sich dabei um unbekannte Fotos und Texte handeln, die in ihrer Banalität und Geschmacklosigkeit kaum auszuhalten wären und jede Form eines zivilgesellschaftlichen Umgangs unterlaufen. Die bloße Vorstellung dieses Szenarios wäre obszön, wenn sie nicht einer Befürchtung, sondern einem Wunsch entspränge. Nicht die Offenlegung des Privaten ist das Obszöne am Fall Grab, sondern unsere Unsicherheit, ob wir uns Veröffentlichungen dieser Art nicht insgeheim wünschen und somit befördern. Aus dieser Unsicherheit heraus sind ethische Regeln entstanden, die das Recht auf Privatheit höher halten als unsere voyeuristische Neugierde auf das Leben der anderen.

II Die Lust am Obszönen

Arno Löb ist ein zuverlässiger Zerstörer der Privatheit und ein notorischer Verletzer des „guten Geschmacks“ und um journalistische Regeln schert er sich einen Teufel. Das ist bekannt und damit hat Löb seinen Blog zu einer unverwechselbaren wie schwer erträglichen Marke gemacht. Würden wir die Lust am Obszönen mit aller Radikalität verfolgen, müssten wir auf uns selbst schauen. Doch wir – damit sind alle gemeint, die die Augsburger Skandalzeitung gewohnheitsmäßig lesen – sind in Bezug auf die gesellschaftliche Bedeutung im Fall Grab nicht interessant. Schauen wir also nur auf Peter Grab und Arno Löb. Die Veröffentlichung privater Materialien ermöglicht der Öffentlichkeit die Unterstellung einer bösen Absicht, nämlich mit der Auslöschung des Privaten die Vernichtung der betroffenen Personen im Sinn zu haben. In der vorliegenden Sache betrifft das in erster Linie Peter Grab in seiner Eigenschaft als Politiker. Die grundsätzliche Auffassung, dass Peter Grab als Politiker auch dann ein Recht auf Privatheit hat, wenn in seiner privaten Welt Dinge geschehen, die ihn auch als Politiker in ein anderes Licht stellen, beginnt sich schnell zu relativieren, wenn man sich genauer mit dem Phänomen Peter Grab beschäftigt. – Wer sich mit Grab in seiner Eigenschaft als Politiker ernsthaft auseinandersetzte, befand sich nicht selten mit dem Vorwurf konfrontiert, gegen den Menschen Grab und nicht gegen den Politiker ins Feld zu ziehen.

III Auf dem Niveau seiner Wähler

Das Private und das Öffentliche existiert bei Grab nicht, da es in seinem gesellschaftlichen Wirken keine klare Grenze gab, die diese Trennung vollzog. Grab zeichnete weder sein Stadtratsmandat mit einer politischen Handschrift noch bekleidete er sein Amt mit einer erkennbaren Haltung eines Würdenträgers. Peter Grab stilisierte sich als Mensch, dem die Authentizität des Menschlichen näher lag als programmatische Zielführung. Wer sich nicht näher mit der Augsburger Kulturpolitik beschäftigte und somit nicht in der Lage war und ist, eine sachbezogene Bewertung anzustellen, kann und darf Grab nur als Person bewerten. Innerhalb dieser großen Gruppe ist Grab für die einen ein unverbesserlicher Narzisst, für die anderen ist er der bürgernahe nette Kerl, dessen Selbststilisierung auf  Facebook nichts Falsches ist, sondern sich auf dem Niveau seiner Wähler befindet.

IV Nichts ist aufregender als die Wirklichkeit

Seit der Veröffentlichung mutmaßlicher sexuellen Handlungen und Kommentierungen auf der Augsburger Skandalzeitung gehört es nun zur Ironie der Geschichte, dass Grab als Politiker genau in den Abgrund fällt, der ihn bisher am Leben hielt und ihn in gewisser Weise als Bürgermeister und Referenten unangreifbar machte: In der Zähigkeit des Unbedarften zeigt sich das Menschliche, dessen Würde nicht zu verletzten ist. Mit dieser anstrengenden Attitüde ist Peter Grab sechs Jahre als Bürgermeister durch die Stadt gelaufen. Peter Grabs Strategie, das Dilettantische mit der Aura des Menschlichen zu ummanteln, um mit diesem Schutz eine politische Peinlichkeit nach der anderen zu überstehen, ist nun durch Arno Löbs Transparenz-Terrorismus ins Gegenteil verkehrt worden. Das Unmoralische und Widerwärtige passt nicht ins Selbstinszenierungskonzept eines unbedarften Menschen und führt deshalb zum Sturz und zum Untergang des Politikers, dessen strategische Stärke bisher darin bestand, nicht Politiker sondern Mensch zu sein. Die scheinbare Stärke Peter Grabs, nämlich das selbst geschaffenes Image, ein authentischer, ehrlicher Kerl  zu sein, hat Löb mit seiner rigorosen Auslöschung des Privaten pulverisiert. „Nichts ist aufregender als die Wirklichkeit“ heißt es bei Egon Erwin Kisch. Mit nichts anderem als behaupteter Authentizität hat Arno Löb einen Politiker zu Fall gebracht, der sich mit nichts anderem als mit behaupteter Authentizität über Wasser halten konnte.

V Die Würde des Menschen ist unantastbar

Als Peter Grab (nach dem Geschmack von Stefan Kiefer) zu viel Nähe zu national gesinnten Türken erkennen ließ, wurde er im Stadtrat von Kiefer gefragt, ob er wisse, was es mit dem Völkermord an den Armeniern auf sich habe – ein vollkommen überzogener und unsäglicher Angriff auf den Politiker Grab – antwortete Grab sinngemäß, wie Kiefer dazu komme, ihm diese Frage zu stellen, seine halbe Familie sei im Holocaust umgekommen. Als es in der Künstlerszene eine Kampagne gegen Grab gab, stellte sich Grab seinen Kritikern und versuchte ihre Argumentation auszuhebeln, indem er darauf verwies, dass er selbst Künstler gewesen sei. Als Peter Grab als Nachfolger von Hansi Ruile im Raum stand, veröffentlichte die damalige Beiratsvorsitzende der Kresslesmühle eine No-Go-Erklärung. Grab zitierte in einer Mail an den Beirat aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

VI Opferhaltung als Strategie

Als am vergangenen Montag die Luft für Grab dort dünn wurde, wo seine reale politische Existenz vermutet wurde, nämlich bei Pro Augsburg, zitierte Grab wieder Artikel 1 aus dem Grundgesetz. Die Strategie dieser reflexartigen Opfer-Täter-Relativierung ist bei Grab möglicherweise anerzogen und nicht nur eine Strategie der Verteidigung, sondern auch die Matrix seines Handelns. Selbst in Zeiten komfortabler Mehrheiten befand sich Peter Grab als Kulturreferent meistens im Modus der Rechtfertigung und ging in Opferhaltung, wenn Kritik im Anflug war. Da er nur das Beste wolle, könne Kritik an seiner Person nur eigene Interessen verfolgen. Merkwürdigerweise hat Pro Augsburgs Spitze erst mit Löbs Veröffentlichungen begriffen, dass es mit Peter Grabs Authentizitätsbehauptungen nicht weit her ist und ein moralisches Urteil gefällt, dem die Mehrheit der Wählervereinigung nicht folgen wollte. Ein Kollege schrieb daraufhin einen Kommentar, dass es für ein Urteil zu früh sei. Das Gegenteil ist der Fall, es kommt viel zu spät.