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Dienstag, 16.04.2024 - Jahrgang 16 - www.daz-augsburg.de

Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung hat hohe Priorität

DAZ-Herausgeber Siegfried Zagler über die Migranten unter den aussichtsreichen Stadtratskandidaten und über den notwendigen Rücktritt des Integrationsbeiratsvorsitzenden Tugay Cogal



Bisher sind drei Stadtratslisten für die Kommunalwahl geschmiedet worden. Die SPD, die Grünen und auch die CSU (!) haben bei ihren Listen mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass es ihnen gelungen sei, in aussichtsreicher Position Migranten zu positionieren, weil man alle Bevölkerungsgruppen abbilden und ansprechen möchte. Bei den Grünen gab es sogar einen Antrag zur Quotierung: “Mindestens jeder sechste Platz ist mit einer Migrantin oder einem Migranten zu besetzen.” Der Antrag ging durch. Eine Quotierung, die sich auf eine diffuse Herkunftsbeschreibung bezieht, ist eine Spielart des so genannten “positiven Rassismus”. Damit soll eine Bevorzugung gemeint sein, die man bestimmten Ethnien zukommen lässt, weil man sie nicht innerhalb der so genannten Dominanzkultur wähnt.

Sensibilisierung für die Interessenlagen der Migranten-Communities

“Migrationspolitische Themen werden mit unseren Kandidatinnen und Kandidaten im Rathaus einen neuen Stellenwert bekommen,” so der Sprecher des Grünen Migration-Arbeitskreises, Dr. Ergün Altin. Man muss an dieser Stelle nicht darauf hinweisen, dass die Grünen mit ihrer Liste den Wählern ein Angebot machen, das sie erst noch annehmen müssen. Doch selbst dann, wenn genügend Wähler das Angebot annehmen sollten, hätten die Grünen Stadträte mit Migrationshintergrund den gleichen Auftrag wie alle anderen Stadträte, nämlich die Stadt kulturell und wirtschaftlich fortzuschreiben. Die interkulturelle Öffnung der Augsburger Verwaltung ist eine Dringlichkeit mit hoher Priorität. Migrantinnen und Migranten, die von der Augsburger Bürgerschaft ins Rathaus gewählt werden, haben den Auftrag, den Gesamtstadtrat für die Interessenlagen der Migranten-Communities zu sensibilisieren, sie haben den Auftrag, in der Verwaltung einen Prozess in Gang zu bringen, der darauf abzielt, dass alle Menschen aus allen Milieus und Kulturen sich in ihr zurecht finden. Sie haben den Auftrag, die Beteiligungsstrukturen in allen öffentlichen Bereichen zu verfeinern.

Sie haben aber nicht den Auftrag, Klientel-Politik zu machen. Migrationspolitik ist eine Verschränkung von Bildungs- und Sozialpolitik, ist eine Politik, die allen Milieus die gleichen Zugangsvoraussetzungen zur Bildung und Ausbildung eröffnen soll. Dabei handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das man auch auf lokaler Ebene zu verfolgen hat. In Augsburg zeigt zum Beispiel in dieser Hinsicht der Niedergang des “Bürgerhauses” Kresslesmühle sowie der Niedergang des Stadtjugendrings, dass man diese ehemals hoch verhandelte Zielvereinbarung nicht nur auf Länderebene aus den Augen verloren hat. Die Politik hat in Sachen Integration viele Fehler gemacht, hat vieles verschlafen und versucht nun die Defizite einer verfehlten Bildungs- und Integrationspolitik mit Inklusions-Grammatik und einer forcierten Zuwendung zur Begrifflichkeit der “Kulturellen Bildung” zu verwischen.

Wenig Punkte für 30 Jahre politische Arbeit

Dienstältester Grüner Migrant: Cemal Bozoglu, seit 1982 dabei

Dienstältester Grüner Migrant: Cemal Bozoglu, seit 1982 dabei


Selbst die migrationspolitische Musterschüler-Rolle der Grünen verflüchtigt sich zusehends, wenn man ihre Stadtratsliste genauer betrachtet. Unter den relevanten ersten zwölf Plätzen befinden sich zwei Migranten: Cemal Bozoglu auf Platz 6 und Frederic Zucco, der aus Paris nach Augsburg “eingewandert” ist. Zucco nimmt Platz 10 ein. Bliebe also für den kommenden Stadtrat nur noch Cemal Bozoglu als “klassischer Migrant” übrig. Sollte Bozoglu allerdings in den Landtag einziehen, dann würden sich die Grünen mit ihrer Migranten-Quotierung ad absurdum führen und bestenfalls mit einem “Weltbürger-Migranten” aus Paris in den Stadtrat einziehen. Bozoglus Geschichte bei den Augsburger Grünen ist wechselhaft. Zuverlässig dagegen ist die Feststellung, dass er auf der Liste der Grünen bisher bei Wahlen in Augsburg wenig punkten konnte, obwohl Bozoglu seit einer Ewigkeit in Augsburg politisch aktiv ist. Kaum waren die Grünen gegründet, trat Bozoglu ein. Das war 1982. Davor war er in der türkischen Community politisch aktiv. Bozoglu war Gewerkschafter, war lange im Vorstand des Ausländerbeirats tätig, wie der Integrationsbeirat damals hieß, war auf der Vorstandsebene bei den Grünen tätig und zog mit den Grünen schließlich 2002 in den Stadtrat ein. Obwohl Bozoglu über Jahrzehnte hinweg in der Augsburger Lokalpolitik einigermaßen präsent war, nutzte ihm das bei der Kommunalwahl 2008 wenig: Er startete auf Listenplatz 8 und konnte sich nur um einen Sitz nach vorne verbessern. Die Grünen zogen mit sechs Sitzen in den Stadtrat ein, ohne Cemal Bozoglu. Der 1979 mit 17 Jahren aus der Türkei eingewanderte Cemal Bozoglu nimmt nun auf der aktuellen Grünen Liste Platz 6 ein.

Die Antwort auf die Frage, ob er denn glaube, dass er mit seinem Migrationshintergrund für die CSU bei “seinen Leuten” Wählerstimmen generieren könne, kam überraschenderweise nicht aus der Pistole geschossen. CSU-Stadtrat Juri Heiser referierte zuerst darüber, dass es “seine Leute” so nicht gebe, weil eben sehr viele Ethnien in Augsburg russisch sprechen, weil es sehr unterschiedliche Milieus gibt und es immer noch so sei, dass ohnehin nur sehr politische Menschen aus einem anderen Kulturkreis bei einer Kommunalwahl wählen gehen, was nichts anderes bedeute, dass seine Wirkung auf die russisch sprechende Community natürlich auch über eine gemeinsame Sprache funktioniere, aber auch nur dann, wenn man einen gewissen gemeinsamen Konservatismus teile.

Kein Migranten-Bonus bei der Kommunalwahl

Vom Migrantenstatus nicht profitiert: Juri Heiser

Vom Migrantenstatus nicht profitiert: Juri Heiser


Übersetzt heißt das, dass Weltanschauungs­gemeinsamkeiten und weniger eine gemeinsame Herkunft den Ausschlag dafür geben, welcher politischen Partei man sich in seiner zweiten Heimat zuwendet. Heiser unterstützt die CSU seit 2001 und ist seit 2004 Vorstand der “Landsmannschaft der Deutschen aus Russland”. Möglicherweise reflektiert Heiser seinen politischen Status als Migrant in der Lokalpolitik deshalb so differenziert, weil ihm dieser Status in der Vergangenheit nicht viel geholfen hat. Heiser startete bei der Kommunalwahl 2008 auf Platz 24 der CSU-Liste und wurde vom Wähler vier Plätze zurück gestuft. Erst als Volker Ullrich Referent wurde, rückte Heiser in den Stadtrat nach. Auf der aktuellen Liste nimmt Heiser Platz 21 ein.

Für den ersten Migranten auf der aktuellen SPD-Liste verlief die Kommunalwahl 2008 ebenfalls nicht besonders erfolgreich. Hüseyin Yalcin startete auf 43 und konnte sich lediglich auf Platz 39 verbessern. Hüseyin Yalcin hat sich in den vergangenen Jahren bei der SPD nach oben gearbeitet, ist inzwischen im Unterbezirksvorstand der SPD vertreten und ist der erste Vorsitzende des großen SPD-Ortsvereins Lechhausen. In einem Gespräch mit der DAZ ließ Yalcin keinen Zweifel daran, dass es seine politische Sozialisation, seine Weltanschauung war, die ihn zur SPD brachte. Hüseyin Yalcin nimmt auf der aktuellen Stadtratsliste der SPD Platz 5 ein. Sait Icboyun bereitet sich gerade auf sein Staatsexamen in Jura vor und ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Herrenbach/Spickel, er nimmt auf der aktuellen SPD-Stadtratsliste Platz 19 ein. Für die SPD werden also im besten Fall zwei Stadträte mit Migrationshintergrund ins Augsburger Rathaus einziehen.

In der so genannten “Dominanzkultur” angekommen

Nach oben gearbeitet: Hüseyin Yalcin, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Lechhausen

Nach oben gearbeitet: Hüseyin Yalcin, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Lechhausen (Foto: SPD Augsburg)


Alle “Migranten” auf den vorderen Listen der SPD, der Grünen und der CSU haben etwas gemeinsam: Ihr Migranten-Status lässt sich kaum noch an etwas festmachen, wofür der politische Begriff “Migrant” steht. Längst sind sie in der so genannten “Dominanzkultur” angekommen. Alle gehören der Mittelschicht an und bewegen sich in ihren Kreisen der Dominanzkultur souveräner als in den Kreisen ihrer Herkunftskultur. Für Bozoglu gilt das mit Abstrichen. Er ist wie Yalcin und Icboyun Alevit, was nichts anderes heißt, dass sie in der muslimischen Gemeinde in Augsburg einen schweren Stand haben. Juri Heiser ist mit seiner konservativen Weltanschauung und seinem gelebten Katholizismus in der russisch sprechenden Community zwar wesentlich stärker geerdet, aber in parteipolitischen Angelegenheiten innerhalb “seiner” Community auch nicht erfolgreicher als die türkischstämmigen Stadtratskandidaten. Ebenfalls gilt für alle vier Stadtratskandidaten, dass sie eigenständige Profile entwickelt haben.

Profile, die etwas mit ihrer Herkunft zu tun haben, die aber zuvorderst aus ihrer politischen Realität und aus ihrer kritischen Sichtweise auf ihre neue Heimat heraus geschliffen wurden. Sie haben unterschiedliche Parteibücher, weil sie die Welt, in der sie leben, unterschiedlich bewerten. Festzuhalten ist, dass alle vier Kandidaten ein Gewinn für die Stadt wären, zögen sie im März 2014 in den Augsburger Stadtrat ein. Möglicherweise kandidieren Migranten auf den hinteren Plätzen der Liste der Linken, möglicherweise ist das auch bei den Freien Wählern der Fall. Realistische Chancen auf einen Stadtratssitz jenseits aller Träumereien gibt es allerdings nur bei den soeben vorgestellten Kandidaten. Realistisch ist dagegen die mögliche Wiederwahl des aktuellen CSM-Stadtrat Dimitrios Tsantilas, der als Chirurg und Bildungsbürger in der hiesigen Dominanzkultur stärker verhaftet ist als die meisten hierzulande geborenen Augsburger Stadträte. Stadtrat Dimitrios Tsantilas und Kulturreferent Peter Grab betrachten ihre Herkunftsländer und sich selbst aus dem Blickwinkel ihrer Biografien und somit aus der Position der erfolgreich Angekommenen. Sie als Migranten zu bezeichnen, wäre politische Augenwischerei.

Migranten-Bonus für Naivität?

Für einen vorderen Migrantenplatz bei Pro Augsburg kam bis zum Donnerstag dieser Woche nur der Vorsitzende des Integrationsbeirats Tugay Cogal in Frage. Dann erschien das Interview in der Neuen Szene, mit dem sich Cogal aus dem Kreis der Stadtratskandidaten herauskatapultiert hat.

Wer nicht in der Lage ist, sich von den Feinden der Demokratie zu distanzieren, hat das Wesen der Demokratie nicht begriffen und outet sich selbst als Antidemokrat. Jeder Politiker ohne Migrationshintergrund sähe sich für ein solches Interview einer breiten Kritik-Kanonade ausgesetzt, die zwangsläufig zu seinem Rücktritt führen würde. Für Tugay Cogal hat das Gleiche zu gelten, sonst müsste man von einem Migranten-Bonus sprechen. Cogal ist aufgrund seiner naiven Haltung gegenüber rechtsextremen Gruppierungen und aufgrund seiner Freundschaft zu einer wegen illegalen Waffenbesitzes verhafteten rechtsextremistischen Person als Vorsitzender des Integrationsbeirates nicht mehr tragbar. Zu hoffen ist in diesem Zusammenhang, dass diese Auffassung nicht nur von allen politischen Parteien, sondern auch von den politischen Migranten auf den Stadtratslisten geteilt wird.